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0072 - Die Ruine des Hexers

0072 - Die Ruine des Hexers

Titel: 0072 - Die Ruine des Hexers
Autoren: Walter Appel
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bedeuten.«
    Sie lief in der Rebgasse ein paar Schritte fort. Ihre Mutter aber blieb stehen, wie angenagelt. Julot merkte, daß die Großen sehr ernst waren und Furcht hatten. Auch er bekam es mit der Angst.
    »Mama«, sagte er und zog Nadine am Arm. »Lauf mit fort, schnell. Wir müssen es Papa sagen.«
    Nadine streifte seine Hand ab. Mit dumpfer, fremder Stimme sagte sie: »Lauf, Julot, und erzähl es ihm. Ich will mir das schwarze Haus ansehen.«
    »Mama!« kreischte Yvette. »Das darfst du nicht tun. Denk an den Baron.«
    Nadines gutmütiges Gesicht verzerrte sich wie bei einer schweren Anstrengung oder unter großem Schmerz.
    »Ich muß!« stieß sie hervor. »Ich muß gehen.«
    Yvette stand wie gelähmt. Auch Julot konnte sich nicht rühren.
    Nadine aber zog es zur Ruine hin, sie konnte nicht dagegen an. Sie hatte Todesangst; ihr Herz hämmerte. Sie stieg den schmalen Durchgang zwischen den Rebstöcken hinunter, ging durch die Rebgasse auf die schwarze Kapelle zu.
    Still war es, totenstill. Der Brandgeruch nahm Nadine fast den Atem. Der rechte, halbverkohlte Torflügel stand offen. Das Innere der Ruine war dunkel. Von der Kapelle ging eine tödliche Lockung aus.
    Die Frau mit der Arbeitsschürze und dem Kopftuch betrat die schwarze Kapelle, die Rebschere noch in der Hand. Krachend schlug die Tür hinter ihr zu. Im nächsten Augenblick begann ein Höllenlärm.
    Unheimliche Geräusche und Stimmen ertönten, und dann lachte der Satan selbst. Jedenfalls hörte es sich so an. Grauenvoll gellte das Gelächter über den Weinberg. Ramond Suchard hörte es, warf den DDT-Behälter und die Spritze weg, streifte die Gasmaske vom verschwitzten Gesicht und eilte herbei.
    Er kam zu spät.
    Nadine schrie gellend um Hilfe, schrie vor Todesangst und vor Schmerzen. Mit ihr kreischten zwei Frauenstimmen, verzerrter und unwirklicher als die ihre. Es hörte sich so an, als seien diese beiden Stimmen nicht von dieser Welt.
    »Nein!« schrie Nadine. »Nein, aahhh! Oh! Schlagt mich nicht tot, nein, aufhören!«
    »Erbarmen!« flehten die anderen Stimmen. »Romain, nein!«
    Es ertönten nur noch unartikulierte Laute, Gestöhne, gellendes Gekreisch, das nichts Menschliches mehr hatte. Und es dröhnte und polterte in einem fort.
    Yvette hatte Julot an den Schultern gepackt und grub die Fingernägel in sein Fleisch. Es war ihr eiskalt, und sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Die schwarze Kapelle mit dem halbzerstörten Dach tanzte vor ihren Augen.
    Das Gelächter war längst verhallt.
    Jetzt rief eine Stimme voller Hohn und Haß: »Jeanne und Anette Lesanque, ihr beiden Rabenschwestern. Jetzt seid ihr an der Reihe. Ihr habt geglaubt, der Hexer Romain Rolland ist tot? Ihr habt gedacht, ihr habt ihn auf die Guillotine gebracht, und es ist für immer vorbei? Nun, da ich euch alle Knochen im Leib zerschlage, merkt ihr, was gespielt wird.«
    Noch einmal gellte das Gelächter. Dann ein klagender Ruf Nadines, der in einem Röcheln erstickte. Ein letztes Poltern, und es war vorbei.
    Ramond Suchard erschien, puterrot im Gesicht vom schnellen Lauf, schweißüberströmt und keuchend. Er sah die Kapelle, und er griff sich ans Herz.
    »Diese Ruine! Die verhexte Kapelle. Ist Nadine da drin? Yvette, Julot, sagt es mir! Wo ist eure Mutter?«
    Der Bann fiel von dem Mädchen und dem Jungen ab.
    Yvette nickte. Sprechen konnte sie nicht.
    Da warf sich Ramond auf die Erde, preßte das Gesicht auf den Boden und schrie wie ein verwundetes Tier.
    ***
    Zamorra und Nicole fuhren in den Wald, in dem Baron Armand de Gascoyne gestorben war. Auf dem Schloß hatte sich Zamorra den Weg zu der Lichtung genau beschreiben lassen. Er rollte mit dem Citroën die schattigen Waldwege entlang.
    Zweimal mußte er anhalten, überlegen und sich orientieren. Dann traten ihm drei Holzfäller in den Weg, grobschlächtige Burschen mit karierten Hemden, harzfleckigen Hosen und derben Stiefeln. Sie blieben mitten auf dem Weg stehen, und Zamorra stoppte.
    Einer von den dreien, ein Kerl wie ein Baum, der mit seinem Bartgestrüpp wie Rübezahls Oberförster aussah, trat zum Wagen und klopfte an die Scheibe. Zamorra kurbelte sie herunter.
    »Das ist ein Waldweg, Monsieur«, brummte der Holzfäller. »Für Kraftfahrzeuge gesperrt, außer Forst- und Landwirtschaft. Wenn Sie Ihrer Puppe ans Höschen wollen, dann tun Sie das woanders, ja?«
    »Ich suche hier keine Höschen, sondern die Lichtung, auf der Baron Armand starb«, erklärte Zamorra. »Ich komme vom Schloß und bin im Auftrag der
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