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0072 - Die Ruine des Hexers

0072 - Die Ruine des Hexers

Titel: 0072 - Die Ruine des Hexers
Autoren: Walter Appel
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daß Sie vollkommen unschuldig sind.«
    Dissots Gesicht nahm ein wenig Farbe an. Und nun stellte er Zamorras Geduld auf eine harte Probe. Umständlich erzählte er, was sich am Nachmittag des gestrigen Tages abgespielt hatte. Er fing mit dem Mittagessen an, was er gegessen und wie es geschmeckt hatte, wie seine verstorbene Frau diese Speisen zuzubereiten pflegte und anderes mehr.
    Dann kam die langatmige Erzählung zu den Holzfällern im Wald.
    Nach einer guten halben Stunde endlich war François Dissot auf der Lichtung angelangt. Und nun ging es erst richtig los.
    »Können Sie sich nicht ein wenig kürzer fassen?« fragte Zamorra schließlich.
    »Ich dachte, Sie wollten alles ganz genau wissen?« fragte der Förster überrascht.
    Der Polizist an der Wand schlief schon halb. Dissot raffte seine Erzählung nun ein wenig. Aber bald schon schleppte sie sich wieder hin. Nicole staunte nur noch. Noch niemals hatte sie einen Menschen so umständlich reden hören.
    Zamorra überlegte sich, daß er sich an einen Strafverteidiger mit guten Nerven und viel Geduld wenden mußte.
    An Deutlichkeit ließ Dissots Erzählung nichts zu wünschen übrig.
    Zamorra machte sich ein paar Notizen. Es schlug 18.00 Uhr, als François Dissot endlich zum Schluß kam. Der Polizist, der eingenickt war, schreckte auf, starrte auf seine Armbanduhr und sprang hoch.
    »Mon dieu! Wir haben die Sprechzeit um eine halbe Stunde überzogen. Kommen Sie, Dissot, Sie müssen in Ihre Zelle, gleich gibt es Abendessen. Und ich habe Dienstschluß. Monsieur, Mademoiselle, bitte, gehen Sie!«
    »Aber natürlich«, sagte Zamorra und klopfte Dissot auf den Arm.
    »Kopf hoch, Monsieur Dissot. Bleiben Sie nur bei der Wahrheit und lassen Sie sich nicht aufregen. Ihr Anwalt ruft Sie bald an und sucht Sie dann auf.«
    Dissot nickte so heftig, daß sein weißer Bart wackelte. Daß jemand ihm zuhörte, ohne ihn dauernd zu unterbrechen und als Verrückten hinzustellen, war wie ein Jungbrunnen für ihn. Zamorra und Nicole gingen. Der Polizist klingelte nach dem Wärter, der Dissot in die Zelle zurückbringen sollte.
    Zamorra und Nicole atmeten tief auf, als sie den düsteren alten Bau verließen. Am stählernen Gefängnistor wiesen sie sich aus. Der Beamte in der Loge drückte den Türöffner, und dann standen der Professor und das hübsche Mädchen vor dem großen Tor und dem häßlichen Backsteinbau.
    Das Sonnenlicht war nicht mehr so grell. Es umwob die Platanen an der Straße an dem Mayenne-Fluß mit einem goldenen Schleier.
    Zamorra und Nicole gingen zu dem Parkplatz, auf dem ihr Wagen stand.
    »Eine unheimliche Geschichte«, sagte Nicole. »Was wir heute gehört haben, paßt alles nicht zusammen. 1776 starb der Baron Robert de Gascoyne unter mysteriösen Umständen in seinem Bett, wie uns die Baronin erzählte. Gepolter wurde laut, dann Schreie. Als die Dienerschaft und seine Frau herbeieilten, war er tot, erschlagen. Aber niemand wußte, wie es zugegangen war, denn das Zimmer des Barons war von innen verschlossen. Durchs Fenster konnte auch niemand geflüchtet sein. Es gab keine Tatwaffe. Und natürlich keinen Täter.«
    »Weiter, Nicole.«
    »Damals, 1776, starben noch andere Menschen auf die gleiche Weise. Genaues weiß man nicht mehr, die Aufzeichnungen gingen in den Wirren der kurz danach ausbrechenden Französischen Revolution verloren. Nur in der lückenhaften Familiengeschichte der de Gascoynes sind ein paar Hinweise zu finden.«
    Zamorra und Nicole erreichten nun den Parkplatz am Fluß. Ein Schleppkahn fuhr unter der alten Bogenbrücke hindurch. Zamorra schloß den Wagen auf, setzte sich hinein.
    Nicole rutschte auf den Beifahrersitz. Sie kurbelten die Scheiben nach unten, ließen die würzige Luft ins Wageninnere. Auf der Uferstraße und über die Brücke fuhren Autos, Kleinbusse und Krafträder. Hupen gellten, Fanfaren und Dreiklang.
    »Jetzt, 1977, ist Baron Armand de Gascoyne, in einem geisterhaften Gebäude ums Leben gekommen, wenn wir dem Förster Dissot glauben wollen«, nahm Nicole den Faden wieder auf. »Die Frage ist, wenn Romain Rolland, der Hexer, schon damals sein Mütchen gekühlt hat, warum fängt er heute wieder an? Und was hat diese unheimliche Ruine zu bedeuten, die 1776 keine Rolle spielte, die es aber gar nicht gab?«
    »Da ist noch etwas«, sagte Zamorra freundlich. »Erinnere dich genau an die Worte dieser Geisterstimme, Nicole. Sie sagte: Robert de Gascoyne, jetzt habe ich dich. Getötet wurde gestern aber Armand. Ich halte es für
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