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0063 - Sandra und ihr zweites Ich

0063 - Sandra und ihr zweites Ich

Titel: 0063 - Sandra und ihr zweites Ich
Autoren: Richard Wunderer
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mein einziger Anhaltspunkt.
    In der letzten Nacht hatte ich die Wohnung nicht gesehen. Sie war klein aber modern und gut eingerichtet. Ich durchsuchte sämtliche Schränke und achtete auf mögliche Verstecke. Eine Stunde später war ich genau so schlau wie vorher.
    Ich griff nach dem Telefonverzeichnis. Vielleicht wußte einer von Larry Flints Bekannten mehr über Sandra Stanwick, ihre Verwandten oder Freunde. Ich blätterte das Verzeichnis durch und stockte, als ich die Adresse und Telefonnummer von Flints Eltern fand. Bei ihnen wollte ich anfangen.
    Eine sehr sympathische Frauenstimme meldete sich. »Mrs. Flint?« vergewisserte ich mich. »Mein Name ist John Sinclair. Es geht um Ihren Sohn Larry.«
    »Ja, ich bin Larrys Mutter«, antwortete die Frau freundlich. »Was ist mit ihm?«
    Ich stutzte. Ich selbst hatte letzte Nacht die Angehörigen des Toten nicht verständigt. Sollten das meine Kollegen von der Mordkommission vergessen haben?
    »Ich komme zu Ihnen, wenn es Ihnen recht ist«, sagte ich nach kurzem Zögern.
    »Falls Sie mit Larry sprechen wollen«, erwiderte Mrs. Flint, »da haben Sie Pech. Mein Sohn ist vor fünf Minuten gegangen.«
    Ich machte in diesem Moment bestimmt kein geistreiches Gesicht. »Vor fünf Minuten gegangen?« wiederholte ich.
    »Aber ja«, versicherte Mrs. Flint. »Er hat mich überraschend besucht.«
    »Sind Sie ganz sicher?« fragte ich überflüssigerweise.
    »Ich kenne doch meinen eigenen Sohn!« Mrs. Flints Stimme kühlte hörbar ab. »Sagen Sie, wer Sind Sie eigentlich und was wollen Sie?«
    »Das sage ich Ihnen gleich persönlich, Mrs. Flint«, erwiderte ich hastig. »Ich bin schon unterwegs!«
    Damit knallte ich den Hörer auf den Apparat und verließ überstürzt das Apartment. Larry hatte vor fünf Minuten seine Mutter verlassen! Noch wußte ich nicht, welche neue Teufelei dahintersteckte, aber ich würde es sehr schnell herausfinden!
    ***
    »Hallo, Mr. Flint!« Der einarmige Pförtner nickte Larry Flint freundlich zu. »So spät heute?«
    »Das geht schon in Ordnung«, erwiderte Larry Flint ungerührt. »Ich habe telefoniert, daß ich später komme!«
    »Na, dann überarbeiten Sie sich nicht!« rief der Pförtner hinter ihm her und wandte sich wieder seinen Pflichten zu.
    Larry Flint betrat das Hauptgebäude der Firma. Viele Leute, die ihm begegneten, grüßten freundlich. Die meisten Mitarbeiter kannten ihn, und alle mochten den bescheidenen, ruhigen Mann. Er trat nie besonders in Erscheinung, aber wenn man ihn brauchte, war er da.
    Larry Flint grüßte seinerseits genau so freundlich wie immer, und niemand sah ihm die schauerlichen Gedanken an, die sich hinter seiner Stirn abspielten. Bei jedem Entgegenkommenden, Mann oder Frau, rief er sich die persönlichen Verhältnisse dieser Person ins Gedächtnis.
    Es interessierte ihn nicht aus menschlichen Gründen, wie seine Kolleginnen und Kollegen lebten. Er überlegte, welche Person sich am besten als Mordopfer eignete.
    Geeignet war für Larry Flint eine alleinstehende Person, die einen möglichst geringen Bekanntenkreis besaß.
    Er betrat sein Büro und klingelte nach seiner Sekretärin. Sie freute sich darüber, daß er wieder da war, und legte ihm die neuesten Eingänge vor. Larry blätterte sie ziemlich unaufmerksam durch und musterte verstohlen die junge Frau.
    Nein, Pearl Haggard kam nicht in Frage. Zweiundzwanzig und bildhübsch. Sie kannte eine Menge Leute, hatte noch Familie und wollte demnächst heiraten. Sie war jeden Abend mit ihrem Freund zusammen. Pearl Haggard schied aus.
    Aber als seine persönliche Sekretärin das Büro verließ, warf er einen Blick in den Arbeitsraum der Schreibkräfte. Und er sah an dem hintersten Tisch Muriel Segovian sitzen. Er lächelte grausam in sich hinein.
    Muriel Segovian, vierundfünfzig, alleinstehend. Vor dreißig Jahren war sie nach England eingewandert und hatte hier nie Anschluß gefunden. Ihr Mann war im Krieg umgekommen, ihre Eltern schon längst tot. Ihre restliche Familie war in der alten Heimat geblieben und hatte keinen Kontakt zu Muriel.
    Perfekt, dachte Larry Flint triumphierend. Diese müde, vorzeitig gealterte Frau, die unauffällig ihre Arbeit tat und keine Freunde hatte, sollte es sein.
    Jetzt mußte er nur noch entscheiden, wann sie starb. Doch das hatte vorläufig Zeit. Larry Flint wollte nichts überstürzen.
    Genauer gesagt, der Dämon, der Larry Flints Aussehen angenommen hatte, wollte nichts überstürzen. Denn Larry Flint selbst lag im
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