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0063 - Der Hüter des Bösen

0063 - Der Hüter des Bösen

Titel: 0063 - Der Hüter des Bösen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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keineswegs gewillt war, kampflos aufzugeben.
    Professor Zamorra, der seiner bildhübschen Sekretärin und Freundin im Arbeitszimmer seines Schlosses an der Loire gegenübersaß, seufzte tief.
    »Sei doch vernünftig, Nicole. Ich bin nur für kurze Zeit weg, höchstens bis morgen. Ich soll mir in Marseille nur einen Untersuchungshäftling ansehen und ein Gutachten über ihn abgeben. Du kannst mir dabei sowieso nicht helfen. Und außerdem… Du weißt, dass uns Bill besuchen kommt. Seine Maschine aus Amerika kann jetzt jede Stunde landen. Schließlich muss jemand da sein, der ihn am Flughafen abholt. Das siehst du doch ein, oder?«
    »Nur ein Gutachten?«
    Zamorra nickte. »Nur ein Gutachten. Es handelt sich um einen etwas außergewöhnlichen Mordfall. Zwei Industrielle, seit Jahren bestens miteinander befreundet, haben sich in die Wolle gekriegt, und dabei hat der eine den anderen umgebracht.«
    Die Frau runzelte die Stirn. »Und was sollst du dabei? Du bist Parapsychologe, kein Kriminologe.«
    »Ich sagte doch schon, dass es sich um einen außergewöhnlichen Mordfall handelt. Der Polizeipräfekt von Marseille, der mich gebeten hat, mir den Mörder einmal anzusehen, sprach von übersinnlichen Phänomenen. Mörder und Opfer sollen sich während ihres Kampfes in einen Tiger beziehungsweise in einen riesigen Raubvogel verwandelt haben. Anschließend sahen sie dann wieder wie normale Menschen aus. Die Verletzungen aber, die sie sich gegenseitig beigebracht hatten… wie gesagt – Tiger und Raubvogel.«
    »Und wer hat gewonnen? Der Tiger oder der Raubvogel?«
    »Der Tiger hat gewonnen, Henry Montpellier.«
    Nicole stieß einen Laut der Verblüffung aus. »Henry Montpellier? Von der weltbekannten Firma Montpellier & Martin S.A., die überall in der Welt Industrieanlagen baut?«
    »Selbiger. Montpellier ist der Mörder und Martin das Opfer.«
    »Und warum hat Montpellier es getan? Wollte er die Firma für sich allein haben?«
    Der Professor schüttelte den Kopf. »Das ist ein weiterer rätselhafter Aspekt der ganzen Angelegenheit. Nach der Tat konnte sich Montpellier an nichts erinnern. Weder dass er wie ein Raubtier ausgesehen hatte, noch dass er seinen Freund umgebracht hatte. Er war völlig verstört und ließ sich ohne jeden Widerstand von der Polizei festnehmen. Verstehst du nun, warum sie einen Parapsychologen einschalten wollen?«
    Nicole verzog das Gesicht. »Nun ja, vielleicht… Und du bist morgen wieder hier?«
    Zamorra nickte.
    »Wenn du es nicht bist, und Bill in der Zwischenzeit kommt«, Nicole drohte ihm mit dem Finger, »dann werde ich dich hemmungslos mit dem betrügen.«
    Der Professor setzte eine verzweifelte Miene auf. »Wie entsetzlich!«, ächzte er.
    In Wirklichkeit war er aber nicht verzweifelt. Er wusste, dass Nicole nur ihn liebte und er ihrer ganz sicher sein konnte. Und was seinen Freund Bill Fleming, den jungen Historiker aus New York betraf, so gönnte er ihm alles Gute. Nur Nicole nicht.
    »Packst du mir meinen kleinen Reisekoffer?«
    Nicole stand auf. Sie lächelte schon wieder.
    ***
    Staatssekretär Georges Mouslin vom französischen Außenhandelsministerium und sein Stellvertreter Jacques Giraudoux befanden sich auf einer äußerst erfolgreich verlaufenden Reise in den Nahen und Mittleren Osten. Mehrere Staaten der arabischen Welt hatten sie bereits besucht und nach befriedigenden Verhandlungsergebnissen wieder verlassen.
    Die vorletzte Station ihrer Reise war der Iran. Und auch hier standen die Besprechungen – es ging um die Errichtung eines Kernkraftwerks in einer wirtschaftlich unterentwickelten Region – kurz vor einem für alle Seiten befriedigenden Abschluss. Es mussten nur noch einige Details geklärt werden, ansonsten war das zwischenstaatliche Abkommen so gut wie unter Dach und Fach.
    Die Verhandlungsatmosphäre war locker, freundlich und entspannt. Die Verhandlungspartner auf beiden Seiten waren sich auch menschlich näher gekommen. Mouslin und Giraudoux nahmen deshalb gerne die Einladung des iranischen Delegationsleiters an, einige antike Stätten der alten persischen Kultur zu besuchen.
    Zu diesen Stätten gehörte auch ein heidnischer Tempel am Rande der Wüste Lut – ein riesiges Ödgebiet, das durch das neue Kraftwerk der Zivilisation erschlossen werden sollte.
    Mouslin und Giraudoux standen beeindruckt von der steinernen Wucht des Tempels. Das Bauwerk sah alt aus, unvorstellbar alt. Der Zahn der Zeit hatte hartnäckig und unablässig an den Mauern genagt. Und dennoch –
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