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0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen
Autoren: Susanne Wiemer
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Phänomen, das er sich beim besten Willen nicht erklären konnte. Aber inzwischen hatte er sich bereits daran gewöhnt, von dem Ungeheuerlichen zu sprechen, als sei es selbstverständlich. »Wir werden Wasser brauchen. Decken. Einen Kompaß. Oder jemanden, der uns führt.«
    »Zumindest Wasser«, stimmte Zamorra zu. »Und da wir die Gegend nicht kennen, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als zunächst einmal dorthin zurückzugehen, wo wir hergekommen sind.«
    »Der Palast des Kalifen?« fragte Nicole.
    »Richtig. Ich glaube nicht, daß wir eine andere Wahl haben.«
    Die junge Frau nickte nur.
    Geschmeidig stand sie auf, und auch Bill erhob sich. Nebeneinander stiegen die drei Menschen wieder die endlose Treppe der Pyramide hinunter – und niemand sprach ein Wort, weil sie in Gedanken bereits bei dem lebensgefährlichen Unternehmen waren, das ihnen bevorstand.
    Fünf Minuten brauchten sie – dann fühlten sie wieder den weichen Sand unter den Füßen.
    Den Weg zum Palast des Kalifen kannten sie.
    Sie orientierten sich an den Sternen, an den zackigen Formationen der fernen Gebirgskette. Immer noch schweigend schritten sie durch die Wüstennacht, und erst nach dreißig, vierzig Schritten warf Nicole einen letzten Blick über die Schulter.
    Ihre Haltung versteifte sich.
    »Himmel!« flüsterte sie.
    Bill und Zamorra fuhren herum – und da sahen auch sie das Schauspiel, das sich hinter ihnen in gespenstischer Lautlosigkeit vollzog.
    Kein Knirschen, kein Poltern, nicht das leiseste Geräusch störte die Stille – und doch waren die Quader der Pyramide in unheimliche Bewegung geraten. Steine stürzten übereinander, Risse klafften.
    Schon hatte das Bauwerk nur noch die Hälfte seiner Höhe – und als habe die Hölle selber sich aufgetan, so versanken die mächtigen Blöcke langsam und lautlos im Sand.
    Ein Windstoß kam auf.
    Gleich einer Riesenfaust fegte der Lufthauch über den Platz, wo noch die letzten Reste der Pyramide zu sehen waren.
    Sand wirbelte auf, für ein paar Sekunden hing er in einer dichten Wolke in der Luft – und als er sich wieder legte, gab es nicht mehr das geringste Zeichen dafür, daß hier je etwas anderes gewesen war als leere, öde Wüste.
    Zamorra holte tief Atem.
    Aus, dachte er.
    Jetzt war endgültig der Weg verbaut, war auch die letzte Chance dahin, daß es Alban de Bayard vielleicht gelingen könnte, an diesem magischen Punkt das Tor in die Dimension der Geister wieder aufzustoßen.
    Sie würden einen anderen Weg finden müssen – oder sie würden für immer Verbannte bleiben in einer fremden Zeit…
    ***
    Raffael Bois verstaute Hammer und Nägel wieder in dem kleinen Werkzeugkasten.
    Nachdenklich betrachtete er das Kruzifix, das er von innen an die Tür seines Zimmers gehängt hatte. Würde es genügen als Waffe gegen das Böse? Der alte Diener wußte sehr wohl, daß es auf Château Montagne mehrere ganz bewußt an bestimmten Stellen plazierte Kruzifixe gab, Mosaike und Intarsien in bestimmten magischen Anordnungen und Türen mit eingeschnitzten Bannmalen. Aber Raffael wußte auch, daß die meisten aus einer längst versunkenen Zeit stammten, daß er sie alle kannte – und daß es gerade hier, an diesem Ort, wahrscheinlich überhaupt keinen sicheren Schutz gab.
    Der Butler seufzte leicht.
    Er empfand keine Angst – dafür war er zu alt, dafür hatte er auf Château Montagne schon zu viel gesehen. Die Legenden und Schauermärchen, die sich um die Vergangenheit derer von Montagne rankten, kannte er in allen Einzelheiten, schon sein Großvater hatte sie ihm erzählt, als er noch ein Kind gewesen war. Auch die Familiengeschichte der Bois war eng mit dem Schloß verknüpft. Der alte Raffael fühlte sich hier zu Hause. Die Rätsel und Legenden gehörten ebenso zu seinem Leben wie die Arbeit, die er verrichtete – und manchmal hatte er den Eindruck, mit ihm , dem Schrecklichen, von dem es hieß, daß er eines Tages zurückkehren würde, auf beinahe vertrautem Fuße zu stehen.
    Als er das Zimmer verließ, um bei einem kurzen Rundgang noch einmal nach dem Rechten zu sehen, zweifelte er eigentlich kaum mehr daran, daß die Gefahr, von der die alten Leute im Dorf selbst heute noch munkelten, jetzt Wirklichkeit geworden war.
    Leonardo de Montagne.
    Le Terrible. Der Schreckliche…
    Raffael dachte an die Erzählungen seines Großvaters. Er dachte an Louis de Montagne, der die Geheimnisse des Schlosses besser gekannt hatte als jeder andere und der der Überzeugung gewesen war, der Geist
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