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0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen
Autoren: Susanne Wiemer
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ihn mit besorgten Augen beobachtete, seit auch er die seltsame Veränderung gespürt hatte. Jetzt lächelte er, hob die Hand und gab den anderen das Zeichen zum Anhalten.
    Gaspard Navarre ritt heran. Seine Brünnenringe klirrten, als er vom Pferd glitt.
    »Das Meer«, sagte er heiser. »Wir haben es geschafft. Wir haben das Meer erreicht.«
    »Wir werden Schiffe finden!« Leonardos Stimme vibrierte. »Es gibt viele Häfen im Land der Kalifen, und noch sind wir nicht zu schwach, um ein Dorf anzugreifen. Laß lagern, Gaspard! Alphart und ich reiten auf Spähe.«
    »Nehmt Chalon und die Lothringer mit! Du führst sie, Leonardo! In eines Höheren Hand liegt es, ob wir uns wiedersehen…«
    Leonardo neigte den Kopf.
    Schweigend wandte er sich ab, winkte Alphart und den anderen, dann saßen sie auf und ritten zum Strand hinunter. Mondlicht hüllte sie ein. Eine Bucht lag vor ihnen, gesäumt vom fahlen, schimmernden Streifen des Sandes. Langsam näherte sich die kleine Gruppe den Hügeln der Landzunge, die den Verlauf der Küste ihren Blicken entzog, und immer wieder verhielten sie, um in die Nacht zu lauschen.
    Es war eine Art dunkler Ahnung, die Leonardo warnte.
    Ein Gefühl von Gefahr, von Drohung – etwas, das er nie vorher in sich gespürt hatte. Er preßte die Lippen zusammen, starrte in den Schatten der Hügelfalte, die sich vor ihnen öffnete. Für einen Moment war ihm, als stehe jemand unsichtbar neben ihm und versuche ihn zurückzuhalten, dann schüttelte er heftig den Kopf. Sie mußten weiter. Sie brauchten ein Schiff, und sie brauchten es schnell. Entschlossen spornte er das Pferd, ritt weiter und erst als die tiefe Dunkelheit der Senke sie aufgenommen hatte, wandte er wieder den Kopf.
    »Alphart?« sagte er leise.
    »Ja, Bruder?«
    »Alphart, sage Chalon, daß er zurückbleiben soll und unsere Nachhut bilden! Wenn etwas geschieht, muß einer da sein, der es dem Heerführer berichtet…«
    »Du glaubst an Gefahr?«
    »Ich weiß nicht. Nur das Schicksal weiß, wo der Sensenmann seine Gesellen erwartet. Lieber sähe ich, du wärest der Bote, mein Freund, aber ich weiß, daß du nicht gehen würdest.«
    »Ich würde nicht gehen«, bestätigte Alphart ruhig. »Mein Platz ist hier. Ich werde Chalon schicken…«
    Er blieb ein Stück zurück. Leonardo hörte den Hufschlag hinter sich, das unruhige Schnauben der Pferde, das sich in das Raunen des Windes mischte. Vor ihm erweiterte sich die Senke, ein paar Felsennadeln ragten wie Wächter in den Nachthimmel. Leonardo ritt darauf zu, zügelte den Schimmel zwischen den Steinblöcken – und für einen Moment hatte er das Gefühl, einen Traum zu erleben.
    Steil fiel der Hang vor ihnen ab.
    Klippen und Geröll säumten eine winzige Bucht, die wie ein natürlicher Hafen wirkte.
    Eine niedrige, scharf vorspringende Felsennadel bildete den Wellenbrecher – und in ihrem Schutz dümpelte mit leise knarrendem Tauwerk ein Schiff auf dem schwarzen Wasser.
    Ein venezianisches Kreuzfahrerschiff, irgendwann und irgendwo erbeutet und hierher verschlagen. Schräg kreuzten die beiden Besanbäume die Masten, gereffte Lateinersegel leuchteten weiß durch die Dunkelheit. Weiß schimmerte auch der Totenschädel mit den gekreuzten Knochen auf der schwarzen Flagge – und Leonardo hatte das Gefühl, als werde er von dem Anblick wie von einem Hieb getroffen.
    Ein Piratenschiff!
    Sarazenische Seeräuber…
    Das waren nicht Fischer oder Kaufleute, die beim ersten Hörnerschmettern davonlaufen würden, das waren Gegner, die sich zu wehren wußten! Freibeuter, die vielleicht sogar im Dienste der Kalifen standen! Leonardo dachte an seine Freunde, an den verlorenen Haufen, den geschlagenen Rest des einstmals stolzen Kreuzfahrerheers, und Zorn und Verzweiflung ließen seine Zähne aufeinanderknirschen.
    »Alphart«, rief er gepreßt.
    »Ja, Bruder?«
    Er wandte sich um. »Ein Piratenschiff, Alphart! Siehst du die Flagge?«
    »Ich sehe sie. Hart wird der Kampf werden. Vielen von uns scheint es bestimmt zu sein, die Heimat nie wiederzusehen.«
    Leonardo nickte. Nachdenklich blickte er über die weite, schimmernde Wasserfläche.
    »Reiten wir zurück«, murmelte er. »Vielleicht, wenn wir sie überraschen…«
    Er konnte den Satz nicht beenden.
    Irgendwo klirrte etwas, schlug scharf gegen Stein – und im nächsten Moment wurde es ringsum in den Felsen lebendig.
    Schreie gellten.
    Wie aus dem Boden gewachsen sprangen Gestalten auf, Dutzende von Schatten, die Sekunden später von aufflackernden Fackeln
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