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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens
Autoren: D.H. Keller
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Betäubung, und ich kämpfe dagegen an.
    »Bedient euch«, fordert er uns auf und schiebt mir die Schnapsflasche zu. Er weiß, dass ich noch einen Schluck brauche. Die Kälte ist noch nicht ganz aus meinen Gliedern gewichen. Der Alkohol, das Feuer und die Geborgenheit des Raums tun mir gut.
    Suzanne hat keinen Alkohol getrunken. Sie scheint sich schon völlig erholt zu haben. Vielleicht trägt ihre Neugier, die Spannung, die sie erfüllt, dazu bei.
    Warum rückt Michel nicht endlich mit der Sprache heraus? Merkwürdig, es will mir nicht gelingen, das gleiche Interesse wie Suzanne aufzubringen.
    Michel erzählt, dass er vor ein paar Wochen in Grenoble gewesen sei. Er habe Freunde besucht, die sich mit Okkultismus befassen. Natürlich habe er an so etwas nie geglaubt, versichert er, aber er habe an einer Séance teilgenommen, an einer Geisterbeschwörung, und dann auch noch an einer zweiten. Dabei sei sein Interesse dafür erwacht.
    Er sieht Suzanne an. »Glaubst du an so etwas?«
    »Ich weiß nicht«, erwidert sie.
    »Hast du noch nie darüber nachgedacht?«
    »Kaum«, meint sie. »Und ich habe so etwas auch noch nie gesehen.«
    Er antwortet nichts und wendet sich mir zu. »Und wie ist es mit dir?« fragt Michael.
    Ich zucke die Achseln.
    »Bei dir ist es vermutlich wie bei Suzanne. Wenn du nun aber Zeuge von übernatürlichen Erscheinungen geworden wärst?«
    Mir ist nicht klar, was er damit sagen will. Es wäre mir lieber, wenn er dieses Thema nicht weiter verfolgte.
    Außerdem bin ich müde. Mit Schrecken denke ich an den Heimweg, der uns später noch bevorsteht. Dabei sehne ich mich schon jetzt nach meinem Bett.
    »Ich bin zu realistisch, um an solche Dinge zu glauben«, erkläre ich.
    »Vorher war ich auch Realist«, erwidert er.
    Da ich nicht mit ihm streiten will, schweige ich. Er wendet sich wieder an Suzanne, die offensichtlich sehr interessiert ist.
    Ich spüre, dass sie gespannt ist, mehr darüber zu erfahren. Wie alle Frauen hat sie einen Hang zum Mystischen.
    Michel hat dafür Verständnis. Er richtet seine Worte vor allem an sie. Ich bin ausgeschlossen aus ihrem Gespräch. Sie lassen mich links liegen. Zwischen Suzanne und ihm ist eine Brücke geschlagen. Zum ersten Mal ist Suzanne mir entglitten.
    Michel spricht in eindringlichem Ton auf sie ein. Er erzählt ihr, dass er sich als einer der begabtesten Geisterbeschwörer der Gruppe entpuppt habe. Allerdings, fügt er hinzu, habe er als Medium ein junges Mädchen gehabt, das ungewöhnlich sensibel war.
    Worauf will er hinaus? Was für ein Spiel spielt er mit uns?
    Ich versuche mich zu konzentrieren. Aber es gelingt mir nicht. Zu viele Gedanken wirbeln mir durch den Kopf.
    Michel sieht Suzanne nachdenklich an.
    »Ich glaube, du wärst ein großartiges Medium«, erklärt er.
    »Meinst du wirklich?«
    Ich will etwas einwerfen, doch Michel bedeutet mir mit einer Handbewegung zu schweigen.
    »Ja, ich finde, du hast die gleiche starke Ausstrahlung wie das junge Mädchen in Grenoble.«
    Suzanne lächelt.
    »Auch in deinen Augen liegt dieses geheimnisvolle Strahlen«, fährt Michel fort.
    Damit hat er gewonnen. Ich spüre, dass hier etwas Gefährliches geschieht, aber ich weiß nicht genau, was.
    Ich muss etwas unternehmen, darf mich von ihm nicht an der Nase herumführen lassen. Aber das Unglück ist schon geschehen. Suzanne hat angebissen.
    »Sprich weiter, Michel«, fordert sie ihn auf.
    »Das ist mir kürzlich schon klar geworden«, sagt er. »Ich habe dich beobachtet. Ich bin ganz sicher, dass du diese besondere Kraft besitzt, die ich seit meiner Rückkehr aus Grenoble suche.«
    »So ein Unsinn!« Ich habe die Bemerkung nicht zurückhalten können. Suzanne soll doch auf dieses Geschwätz nicht hereinfallen. Warum bedrängt Michel sie so?
    Er sieht mich an. Sein Blick drückt Verachtung aus.
    »Glaube mir, Suzanne«, fährt er fort, »jeder Mensch hat in sich ungeahnte Fähigkeiten, von denen er nichts weiß.«
    »Worauf willst du hinaus?« fragt sie.
    Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Die Frage stört ihn anscheinend. Suzanne sieht ihn unverwandt an.
    Ich weiß, dass ich verspielt habe. Suzanne will immer alles ganz genau wissen. Sie wird den Weg zu Ende gehen. Das weiß Michel ebenso gut wie ich.
    Plötzlich scheint er einen Einfall zu haben. Er sieht geradezu begeistert aus. So habe ich ihn noch nie gesehen.
    »Warum machen wir nicht einfach einen Versuch?« sagt er.
    »Einen Versuch?«
    »Ja. An einem der nächsten Tage.« Suzanne ist aufgeregt. »Du
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