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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens
Autoren: D.H. Keller
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Nicht einmal ein Knacken ist zu hören.
    Unter meinen Fingern spüre ich Suzannes Puls. Er geht sehr rasch, so als sei sie gerannt.
    Plötzlich fahre ich zusammen. Die Standuhr schlägt halb. Langsam schallen die melodischen Klänge durch den Raum und verhallen.
    Was erwarte ich eigentlich?
    Nein, ich werde recht behalten. Natürlich wird nichts geschehen.
    Das Warten zerrt an meinen Nerven. Nicht dass ich mich vor einer übersinnlichen Erscheinung fürchte, aber das Dunkel und die Kälte wirken deprimierend auf mich.
    Ich beschließe, noch einen Augenblick Geduld zu haben. Fünf Minuten noch. Ich werde dreißig Schläge des Uhrpendels zählen.
    Suzannes Finger verkrampfen sich. Ihre Nägel graben sich in meine Haut. Spürt sie etwas?
    Vielleicht spürt sie etwas durch Intuition. Aber was?
    Unsinn! Was soll sie schon spüren? Das ist doch lächerlich.
    Plötzlich ein Rascheln. Habe ich es wirklich gehört oder bilde ich es mir nur ein? Es scheint wenige Meter neben mir gewesen zu sein.
    Ich lausche angestrengt und blicke in die Richtung, aus der ich soeben in der Finsternis das Rascheln vernommen habe.
    Nichts. Stille. Nur das Heulen des Windes.
    Ich freue mich insgeheim über Michels Niederlage, aber das werde ich ihm natürlich nicht sagen.
    Suzanne wird enttäuscht sein. Sie schien auf seiner Seite zu sein. Ihre Finger haben sich entspannt. Ihr Atem geht wieder ruhiger.
    Ich warte, bis die fünf Minuten vorüber sind. Noch ein paar Sekunden … Dann sage ich:»Geben wir es auf. Es hat doch keinen Zweck.«
    Michel steht auf. Er öffnet die Tür, und Licht fällt in den Raum.
     

     
    Als wir in die Küche zurückgekehrt sind, legt Michel Holz nach im Kamin. Ich würde ihn gern ein wenig auf den Arm nehmen, aber Suzanne ist so enttäuscht, dass ich mir den Triumph versage.
    Michel zeigt sich völlig gelassen.
    »Es hat nicht geklappt«, sage ich nur.
    Er nickt. »Aber ich war überzeugt davon, dass etwas geschehen würde«, erwiderter.
    Suzanne setzt sich. Ihr Gesicht ist nachdenklich. Ich trete zu Michel, der im Feuer herumstochert.
    »Ist es dir schon mal passiert, dass es nicht geklappt hat?« frage ich.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Nie?«
    »Wenn ich mich mit jemand zusammentue«, erwidert er, »der auch eine Antenne für so etwas hat, geschieht immer etwas.«
    Damit will er wohl sein Renommee retten. Nun hat es eben an uns gelegen.
    Am liebsten würde ich sofort heimgehen. Merkwürdigerweise ist mir in diesem Haus jetzt unbehaglich zumute.
    Suzanne schweigt. Sie hat den Blick gesenkt und scheint in Gedanken versunken.
    »Suzanne!«
    Als ich sie anrede, fährt sie zusammen. Sie sieht mich an, aber ihr Blick ist ausdruckslos, so als sei sie innerlich weit von mir entfernt.
    »Bist du sehr enttäuscht?« frage ich.
    »Ein bisschen.«
    Michel steht neben mir. Er legt mir die Hand auf die Schulter. Sie scheint mir so schwer wie Blei. Durch meine Jacke hindurch spüre ich die Kälte, die von ihr ausgeht.
    »Willst du mir eine Frage ehrlich beantworten?« fragt er mich.
    »Aber gern.«
    »Hast du geglaubt, dass wir Zeugen einer Erscheinung werden können?«
    Was will er mit dieser Frage? denke ich.
    »Meinst du, dass so etwas möglich ist?« fährt er fort.
    Ich zögere mit der Antwort.
    »Bitte, sag die Wahrheit«, fordert er mich auf.
    »Nein, ich habe es nicht geglaubt«, erwidere ich.
    »Das habe ich mir gedacht.«
    Suzanne sieht mich vorwurfsvoll an.
    »Ist denn das so wichtig?« frage ich Michel.
    Er zuckt die Achseln. »Ein feindseliger Einfluss kann verhindern, dass sich eine Erscheinung zeigt.«
    »Ich war nicht feindselig.«
    »Auch die Gegenwart eines Ungläubigen kann es verhindern.«
    Plötzlich steht Suzanne neben mir. Ich habe nicht gehört, dass sie auf gestanden ist. Ihre Stimme klingt beklommen.
    »Michel, glaubst du, dass deshalb nichts geschehen ist, weil Pierre nicht daran geglaubt hat?«
    »Ganz sicher«, erwidert er. Seine Miene ist sehr ernst.
    »Aber dann …«
    Ich weiß, was Suzanne sagen will. Michel auch. Und so vollendet er ihren Satz: »Wenn Pierre so nett ist, inzwischen hier zu bleiben, haben wir vielleicht mehr Glück.«
    Warum will sie unbedingt das Experiment wiederholen? denke ich. Das passt gar nicht zu ihr. Und warum sieht sie mich so seltsam an?
    »Würde es dir etwas ausmachen?« fragt sie.
    Ich zucke die Achseln. Es ist mir unmöglich, mich ihrem Willen zu widersetzen.
    »Michel, wollen wir es noch einmal versuchen?« fragt sie unseren Gastgeber.
    Natürlich, das wollte er
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