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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens
Autoren: D.H. Keller
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doch erreichen. Ich zweifle nicht daran, dass er dies von Anfang an im Sinn hatte.
    Schweigend gehen sie hinaus. Ich blicke ihnen nach. Das Geräusch ihrer Schritte wird vom Pfeifen des Windes verschluckt.
    Ich bin allein in der großen Küche. Die Kälte sitzt mir noch in allen Gliedern. Am liebsten würde ich mich in die Flammen fallen lassen.
    Was für eine verrückte Idee! Wie komme ich denn darauf?
    Weil ich nicht an sie denken will. Was machen die beiden im Esszimmer?
    Soll ich mal hingehen und an der Tür horchen? Vielleicht bin ich zu vertrauensselig.
    Unsinn. Es dauert doch nicht lange. Ich weiß ja, dass sie wiederkommen wird.
    Suzanne und Michel? Nein, ich darf nicht zulassen, dass die Eifersucht sich in mir festsetzt. Ich gieße mir ein Glas Schnaps ein. Wie Feuer rinnt er mir durch die Kehle.
    Eben habe ich noch wie sie in dem dunklen, kalten Esszimmer gesessen. Ich wartete. Ja, ich sage es ehrlich, ich wartete.
    Jetzt spitze ich die Ohren, doch kein Murmeln, kein Laut dringt zu mir.
    Wahrscheinlich wird das Experiment auch diesmal nicht gelingen. Das sind doch auch alles nur Ammenmärchen. Es gibt keine übersinnlichen Erscheinungen. Aber Michel glaubt offensichtlich daran.
    Und wenn er recht hätte? Wenn es tatsächlich mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt?
    Nein, ich will nicht daran glauben. Mein Blick ist in die züngelnden Flammen gerichtet. Ich bilde mir ein, seltsame Formen in ihrem Tanz zu erkennen, geheimnisvolle Zeichen, die eine Botschaft für mich sind. Aber welche?
    Plötzlich ertönt ein Schrei. Es ist ein halb erstickter Schrei, und er kommt aus dem Esszimmer. Suzanne hat geschrieen. Es war ein Schrei der Überraschung. Oder lag noch etwas anderes darin?
    Besorgt lausche ich. Alles bleibt still.
    Ich springe auf und gehe in der Küche hin und her. Was machen die beiden da drin?
    Zwischen zwei Windstößen bilde ich mir ein, Michels Stimme zu hören. Ich kann mich kaum noch zurückhalten, so stark ist das Verlangen in mir, zum Esszimmer zu laufen und die Tür aufzureißen.
    Wie lange sind die beiden jetzt schon dort drüben? Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.
    Endlich höre ich Suzannes Stimme. Eine Tür wird geöffnet und Schritte nähern sich.
    Ich wende mich um. Suzanne ist leichenblass. Ihr Blick ist verstört. Es kostet mich Überwindung, ihr nicht entgegenzulaufen und sie in die Arme zu schließen.
    Werden sie mir erzählen, was geschehen ist?
    Mein Blick wandert zwischen ihnen hin und her. Sie machen so seltsame Gesichter. Aber ich habe doch wohl das Recht, zu erfahren, was geschehen ist.
    Michel scheint gefasster als Suzanne. Ihn muss ich als ersten fragen. Aber wird er mir die Wahrheit sagen?
    Nein, das kann ich nur von Suzanne erwarten. Entsetzlich, diese Ungewissheit!
    Irgendetwas muss ich tun. Ich kann doch nicht nur dastehen und sie anstarren. Warum sagen sie denn nichts? Zähle ich überhaupt nicht mehr für sie? Bin ich Luft für sie?
    Das wollen wir doch mal sehen! Ich trete einen Schritt näher an Suzanne heran.
    Sie sieht mich an, aber ihr Blick geht durch mich hindurch. Es scheint ihr nicht klar zu sein, wen sie vor sich hat.
    Das ist ja zum Wahnsinnig werden! Meine Frau sieht mich an, als sei ich ihr völlig fremd.
    Das, was sie gesehen hat, muss sie völlig verstört haben.
    Aber was kann es gewesen sein?
    Sie wendet den Blick von mir ab und tritt zum Kamin. Dabei bewegt sie sich wie ein Roboter. Sie hält ihre zarten Hände über die Flammen, so dicht, als wolle sie ins Feuer greifen. Nichts regt sich in ihrem Gesicht. Es ist wie erstarrt.
    Ich mache eine ungeduldige Geste. Am liebsten würde ich ihr die Hände auf die Schultern legen und sie schütteln. Es muss doch etwas geschehen.
    Jetzt bin ich dicht neben ihr. Ich Strecke die Hand nach ihrem Arm aus. Michel hält mich zurück.
    »Lass sie in Ruhe«, sagt er.
    »Warum denn?«
    »Es ist besser, wenn du sie jetzt in Ruhe lässt.«
    Fast gegen meinen Willen befolge ich seinen Rat. »Was hat das zu bedeuten?« frage ich ihn.
    Er zieht mich zum Tisch. Suzanne bleibt am Feuer stehen. Der Schein der Flammen liegt auf ihren Wangen, in die noch keine Farbe zurückgekehrt ist. Ich unterdrücke einen Fluch. Michel dagegen scheint jetzt wieder ganz ruhig zu sein.
    »Nun rück endlich heraus mit der Sprache!« verlange ich.
    »Ja, ja«, erwidert er begütigend.
    »Ich will wissen, was passiert ist.«
    »Schrei doch nicht so«, erwidert er. »Suzanne steht noch ganz unter dem
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