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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens
Autoren: D.H. Keller
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sie? Was sieht sie?
    Denn sie hat nicht alles in ihrem Heft niedergeschrieben.
    In ihrem Tagebuch des Grauens.
    Ganz zu Anfang steht das Datum. Ihre Schrift ist an dieser Stelle sehr flüchtig, an anderen völlig ruhig.
    Zuerst habe ich gar nicht verstanden, was ihre Worte bedeuten.
    In der Nacht vom 3. auf den 4. Februar werde ich gehen.
    Gehen? Wohin? Lange hatte ich darüber nachgedacht.
    Wollte sie auf und davon gehen, mit Michel, dem einzigen Mann, den sie kennt?
    Ja, das musste sie damit meinen. Ich nahm an, dass sie mich verlassen wollte.
    Ich war ein Narr. Als ich alles andere gelesen hatte, wurde mir klar, was sie meinte. Sie wollte die Erde verlassen.
    Immerfort muss ich daran denken. Wollte sie sich denn gar nicht dagegen auflehnen?
    Sie ist doch glücklich mit mir. Ich habe es jedenfalls immer angenommen.
    Und Michel ist gekommen, um sie zu töten. Aber stattdessen wird er sterben. Damit Suzanne gerettet wird.
    Vielleicht auch nicht. Vielleicht wird sie trotzdem Weggehen. Wer weiß.
    Es ist schrecklich. Ich kann nicht länger darüber nachdenken. Ich muss Michel sobald wie möglich töten. Ich darf keine Zeit verlieren. Die Bestie muss ausgelöscht werden. Ich will nicht länger warten.
    Michel wird sterben – durch mich. Er muss wissen, dass ich sein Mörder bin. Dann werde ich zu Suzanne zurückkehren und ihr sagen, was ich getan habe. Vielleicht wird der Schock sie heilen.
    Bis zum vorgesehenen Termin von Suzannes Tod sind nur noch drei Tage Zeit.
    Wenn ich Michel getötet habe, wird Suzanne nicht mehr in seiner Gewalt sein.
    Wann werde ich es tun? Bald. Sofort. Ich darf keine Zeit verlieren.
    Langsam richte ich mich auf und verlasse das Bett. Ich darf Suzanne nicht wecken. Sie würde Erklärungen von mir verlangen. Nein, sie darf nichts ahnen. Erst wenn es geschehen ist, hinterher werde ich es ihr sagen.
    Wie spät ist es? Halb drei Uhr morgens.
    Draußen wird es kalt sein. Ein eisiger Wind heult um das Haus. Ich werde zu Michel gehen. Ich weiß, wo sein Schlafzimmer ist. Es wird mir keine Schwierigkeiten bereiten, bis dorthin vorzudringen.
    In Gedanken bin ich schon dort. Ich trete näher, öffne die Tür seines Zimmers. Der Wind heult so stark, dass dieses leise Geräusch nicht auffällt.
    Meine starken Hände umfassen seinen Hals. Ich drücke zu. Meine Finger werden sich um sein verfluchtes Fleisch schließen.
    Ich ziehe mich an. Suzanne wendet mir den Rücken zu. Sie zittert. Vielleicht fürchtet sie sich doch vor dem Tod?
    Ich gehe zur Tür. Riesenhaft fällt mein Schatten an die Wand. Suzanne seufzt. Ich drehe mich um. Sie greift sich an den Hals.
    Das unsichtbare Wesen, das ihr immer erscheint, will es sie vielleicht erwürgen? Suzanne versucht, sich aus einem unsichtbaren Griff zu befreien.
    Schon stehe ich neben ihr und ergreife ihre Hände. Sie wehrt mich ab und wimmert leise vor sich hin. Ich möchte ihr helfen, aber ich weiß nicht, wie.
    Sanft rede ich auf sie ein. Sie schlägt die Augen nicht auf.
    Was ist das Ding, das Suzanne quält?
    Daran darf ich nicht denken, oder ich werde verrückt.
    Verrückt? Warum muss ich immer wieder an so etwas denken?
    Ich bin nicht verrückt. Ich denke vollkommen logisch über alles nach und weiß genau, dass Suzanne gegen eine unsichtbare Gefahr ankämpft. Ich sehe mich um. Nichts ist zu erblicken, doch ich spüre, dass etwas Fremdes im Raum ist. Aber was?
    Suzanne öffnet die Augen. Sie richtet sich auf und sieht mich mit starrem Blick an.
    »Suzanne! Ich bin bei dir«, sage ich.
    Keine Antwort. Sie erkennt mich nicht. Sie sieht mich nicht. Ich greife nach ihren Händen, aber sie stößt mich zurück. Ihr Blick scheint durch mich hindurchzugehen.
    Ich drehe mich um. Auch hinter mir ist nichts Ungewöhnliches zu sehen.
    »Suzanne, du musst schlafen.«
    Sie hebt den Blick zur Decke, wirft den Kopf hin und her.
    »Nein! Nein!« ruft sie voller Qual.
    In ihrem Gesicht steht das Grauen.
    Sie wehrt sich gegen etwas Unsichtbares, stößt es zurück. Den Mund hat sie angstvoll aufgerissen, aber kein Laut dringt über ihre Lippen. Plötzlich durchläuft ein Zittern ihren Körper, und sie sinkt in die Kissen zurück.
    Was hat sie nur gesehen?
    Suzanne! Ich nehme sie in die Arme und streichle sie sanft. Sie schaudert und wird ganz steif.
    »Gnade!« flüstert sie kläglich.
    Wenn es sich doch zeigen würde, das Ungeheuer, das sie quält. Ich will es sehen, will es vernichten.
    Suzanne schluchzt, das Gesicht in den Händen verborgen. Wenn ich mich ihr nähere,
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