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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens
Autoren: D.H. Keller
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Gesicht. Ich versuche, das Ding zurückzustoßen.
    Es fühlt sich weich an und eisigkalt.
    Ich will mich von dem Bettrand, auf dem ich niedergesunken bin, erheben, aber Zentnergewichte scheinen plötzlich auf meinen Schultern zu liegen. Es ist mir unmöglich aufzustehen.
    Und jetzt höre ich eine Stimme.
    Sie flüstert:»Suzanne, hörst du mich?«
    Suzanne schläft noch immer fest. Deshalb bin ich sehr überrascht, als ich sie antworten höre.
    »Ja«, antwortet sie leise.
    »Bist du bereit?«
    »Ja.«
    »Morgen komme ich dich holen.«
    »Ja.«
    »Bist du glücklich?«
    »Ja.«
    Das leise Zwiegespräch, dessen Zeuge ich werde, erschüttert mich. Ich habe Michel also umsonst getötet. Meine Tat hat Suzanne nicht retten können.
    Aber ich kann nicht glauben, dass sie glücklich ist, dass sie wirklich gern aus dieser Welt scheidet. Sie ist nicht sie selbst, sie steht unter einem teuflischen Einfluss. Ihre Gedanken sind nicht mehr frei.
    Suzanne wird also morgen sterben. Ich zweifle jetzt nicht mehr daran. Alles war umsonst, was ich getan habe. Ich kann ihr nicht helfen.
    Ich kann und will es nicht glauben, dass sie mich wirklich gern verlässt. Wir sind doch glücklich miteinander gewesen.
    Ist sie wahnsinnig geworden?
    Wer weiß. Ich habe mich in den letzten Wochen selbst oft genug gefragt, ob ich noch meine fünf Sinne beisammen habe.
    Und wenn sie verrückt geworden wäre – was kann ich dann tun, um sie zu retten? Kann ich überhaupt etwas tun?
    Nein. Es ist zu spät. Selbst wenn ich mit ihr ans Ende der Welt flüchten würde, fände sie eine Möglichkeit, mir zu entkommen.
    Sie hat eine Verabredung, der sie sich nicht entziehen kann. Ich weiß jetzt, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.
    Nun ist das Flüstern wieder dicht neben mir. Ich erkenne Suzannes Stimme. Ich berühre ihre Schulter. Sie schläft fest. Also hat sie der Stimme im Schlaf geantwortet.
    Wird sie sich nach dem Erwachen an das erinnern, was sie gesagt hat? Nun, ich werde sie nicht danach fragen. Ich will sie nicht quälen.
    Die andere Stimme spricht jetzt in einer Sprache, die ich nicht verstehe.
    Und nun antwortet Suzanne ihr – in derselben fremden Sprache. Ich spüre, dass Suzanne diesem fremden Willen rettungslos ausgeliefert ist.
    Michel wird das Spiel gewinnen. Ich zweifle nicht daran, dass er die unsichtbare Gegenwart im Raum ist.
    Er ist nur wegen Suzanne gekommen. Ich bin ihm im Augenblick unwichtig. Er beachtet mich nicht.
    Nein, das ist ein Irrtum. Er beachtet mich wohl. Plötzlich sehe ich die Zähne vor mir aufblitzen. Von allen Seiten kommen sie auf mich zu und lassen mich bis in die Tiefen meiner Seele erschauern. Wollen sie sich auf mich stürzen und mir die Gurgel zerfleischen?
    Unwillkürlich bedecke ich mit den Händen meinen Hals, um ihn zu schützen.
    Dabei spüre ich einen Biss in meiner rechten Hand. Es ist ein sehr schmerzhafter, tiefer Biss. Ich unterdrücke nur mit Mühe einen Schmerzensschrei.
    Plötzlich ist der ganze Spuk vorbei.
    Ich betaste meine Hand. Blutet sie?
    Ich gehe zur Tür und schalte die Deckenbeleuchtung an.
    Auf meiner Hand sehe ich die Abdrücke von zwei Zahnreihen. Die Haut ist eingerissen, aber die Wunde blutet nicht.
    Es tut sehr weh. Es ist ein furchtbarer Schmerz.
    Ich darf nicht schlafen. Die Gefahr ist zu groß, dass die Erscheinung zurückkehrt und mich zerfleischt.
    Warum kommt mir immer wieder der Gedanke, dass die Zähne mir die Gurgel zerfetzen könnten? Wie ist es möglich, dass ich mir immer wieder einbilde, ich würde durch die gespenstischen Zähne sterben, von ihnen zerfetzt, zerrissen, zerfleischt werden? Ich bin davon überzeugt, dass ich so und nicht anders sterben werde. Ich weiß es. Man hat mir auf unerklärliche Weise eine Botschaft geschickt.
    Die Nacht war sehr lang. Ich habe sorgsam darauf geachtet, nicht einzuschlafen, und habe die Uhr in endlosen Abständen die halben und die vollen Stunden schlagen hören.
    Doch es hat sich nichts mehr ereignet. Vermutlich weil ich wachsam und auf das Schlimmste vorbereitet war.
    Suzanne hat die ganze Nacht durchgeschlafen, ohne einmal zu erwachen.
    Wie war es nur möglich, dass sie trotzdem der geisterhaften Stimme geantwortet hat? Und wie konnte sie sagen, dass sie sich freut, wenn sie mich verlassen muss?
    Nein, ich darf mir nicht immer wieder dieselben Fragen stellen. Ich kann doch nichts an dem anderen, was kommt.
    Schließlich dämmerte hinter den Fensterläden der Tag
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