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004 - Geister im Moor

004 - Geister im Moor

Titel: 004 - Geister im Moor
Autoren: B.R. Bruss
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Schwachsinnige und Krüppel. Und die, die nicht blöde sind, sind mehr oder weniger verrückt. Sie haben doch die drei Hinkebeine gesehen, nicht wahr? Und Sie haben vorhin den alten Notar kennen gelernt. Senil und völlig verrückt. Er behauptet, er hätte bei den Kreuzzügen mitgemacht. Sie werden noch mehrere von der Sorte kennen lernen. Wir brauchen gar nicht weit zu gehen – nehmen Sie Sally, das Dienstmädchen hier …«
    »Ich habe mit Schrecken gesehen, das sie keine Zunge hat.«
    »Sie hat keine mehr, weil sie sie sich herausgeschnitten hat. Oder weil man sie ihr abgeschnitten hat. Eine alte Geschichte, vielleicht erzähle ich sie Ihnen einmal. Sie lebt seit zwanzig Jahren hier im Hotel – sie ist achtunddreißig und sieht aus wie sechzig. Sie hasst ihre Chefin von ganzem Herzen, und ihre Chefin erwidert ihren Hass vollauf. Die Situation spiegelt ganz Guilclan wider. Man hasst und verabscheut sich, man spioniert einander nach, stellt einander Fallen, manchmal macht man gute Miene – und man lebt zusammen. Ich übertreibe gewiss ein wenig, und vermutlich ist es andernorts ähnlich, aber hier ist es eindeutig stärker ausgeprägt. Das kommt vielleicht daher, das die Gassen so eng sind, und das man hier so von aller Welt abgeschieden lebt. Hass und Bosheit haben Zeit gehabt, sich im Laufe von Jahrhunderten fest einzunisten. Die meisten Leute hier haben den Kopf voll gestopft mit finsterstem Aberglauben, von Generation zu Generation weitergegeben, der aus dem Zeitalter der Pest, der Hungersnot und der Angst stammen muss.«
    »Das ist alles sehr interessant, Doktor, und Sie können mir sicher einen Haufen Geschichten über eine Menge von Leuten erzählen.«
    »Gewiss. Und ich erzähle Ihnen gern etwas, wenn Sie es hören wollen. Aber ich warne Sie im Voraus – ich glaube nicht an das Phantastische, das Übernatürliche. Ich weiß nicht, was Sie da in Ihren Romanen schreiben – wahrscheinlich von Phantomen, Vampiren und was weiß ich. Ich hoffe nur, Sie glauben nicht daran.«
    Ich lächelte mein Verschwörerlächeln. »Nicht unbedingt. Um ehrlich zu sein – eigentlich gar nicht. Aber was wollen Sie, die Leute lieben solche Geschichten, und schließlich lebe ich von meinen Romanen. Deshalb versuche ich ja auch, mich wenigstens ein wenig in die Haut derer zu versetzten, die daran glauben, wenn ich ein Buch vorbereite.«
    Er zwinkerte mir zu. »Nun dann! Wir verstehen uns. Ein Beruf ist so gut wie der andere. Hier finden Sie genügend Leute, die an alles Mögliche glauben. Wir haben sogar zwei oder drei quasi offizielle Zauberer und eine niedliche kleine Hexe, die wirklich gar nicht übel ist. Und andere befassen sich mit ich weiß nicht was für Praktiken der Magie. Ich hoffe, das alles hilft Ihnen dabei, eine recht spannende und düstere Geschichte zusammenzubrauen.«
    Ich erzählte nun dem Arzt, das mir schon einiges selbst aufgefallen wäre – nämlich die Reaktion von Mrs. Gull und von Sally auf meine Frage nach dem Plateau oberhalb von Guilclan.
    Der Doktor lachte herzhaft. »Das ist auch wieder eine dieser alten Geschichten, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt einen wahren Kern haben oder ganz einfach von irgendeiner verrückten Großmutter erfunden worden sind. Sally glaubt jedenfalls eisern daran, und Mrs. Gulliburbory ebenfalls, obgleich sie sonst eine so gescheite Frau ist.« Der Doktor sagte niemals Mrs. Gull, sondern sprach stets ihren vollen Namen aus. »Das Plateau von Ludmar gilt nämlich als verflucht. Es ist ganz besonders gefährlich, so heißt es, sich dort zwischen dem 30. Mai und dem 18. Juli hinzuwagen. Die Vorsichtigen gehen lieber überhaupt nicht hin. Was mich betrifft – und ich bin nicht der einzige – so habe ich das Plateau der Länge und der Breite nach abgelaufen, zu jeder Jahreszeit, bei Tag und bei Nacht, und mir ist nie ein Gespenst begegnet. Die Ruinen dort oben, die übrigens sehr eindrucksvoll sind, gelten als äußerst geheimnisvoll. Es sind die Überreste eines Schlosses – ich weiß nicht, aus welcher Epoche. Hundertmal habe ich schon Touristen hingeführt. Und mir geht es blendend, wie Sie selbst sehen können. Das ist alles nur Aberglauben, weiter nichts. Glauben Sie mir, die Ruinen von Ludmar sind weniger gefährlich als diese Flasche Whisky!«
    Er schwenkte die Flasche und füllte wieder mein Glas. »Man sagt mir nach, dass ich ungeheuere Mengen davon konsumiere. Nun, das stimmt wohl. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nie lese. Wenn ich mich langweile,
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