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0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung

0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung

Titel: 0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung
Autoren: Am Morgen meiner Hinrichtung
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einmal an, der Eingriff von außen kommt nicht! Nimm es nur einmal an!
    Na und? sagte ich zu mir selbst. Dann kommt der Innenminister zwei Minuten vor der Hinrichtung und sagt: »Halt, Kameraden, den Jerry dürft ihr nicht hinrichten. Denn so und so ist die Geschichte…«
    Und beim Innenminister kann die Uhr fünf Minuten nachgehen. Er kann durch irgendeine Kleinigkeit um drei Minuten auf gehalten werden! Du lieber Himmel, was sind schon drei Minuten?
    Ich stand auf und steckte mir ärgerlich eine Zigarette an. Was sollten denn diese dummen Gedanken? Der Innenminister war doch kein kleines Kind, und er wußte schließlich genau, was von seinem pünktlichen Eingreifen abhing.
    Unterlag ich etwa schon der Angstpsychose?
    Ich blieb stehen. Tatsächlich hatte ich manchmal das Gefühl, als würden die Wände auf mich zurücken. Wie ein Alp lag es auf meiner Brust. Nein, das können Sie mir glauben, ich bin kein Held. Helden gibt es überhaupt nicht.
    Es wurde eine der übelsten Nächte in meinem ganzen Leben. Als ich mit dem Abklopfen der Wände und der Untersuchung des Fußbodens fertig war, stand der große Zeiger auf der Normaluhr genau auf der Sechs. Der kleine Zeiger wies auf die Mitte zwischen der Eins und der Zwei. Es war also halb zwei Uhr nachts.
    Um sechs sollte die Hinrichtung sein. Noch viereinhalb Stunden.
    Ich kann nicht sagen, daß ich müde gewesen wäre. Ich wurde es auch nicht. Ganz im Gegenteil, alles in mir war angespannteste Aufmerksamkeit. Aber es dauerte entsetzlich lange, bis auch nur eine Viertelstunde vergangen war. Man glaubt nicht, wieviel Gedanken einem im Laufe einer Minute durch den Kopf huschen können. Man sieht innerhalb von sechzig Sekunden so viele verschiedene Bilder vor seinem geistigen Auge, daß man unwillkürlich meint, darüber müsse doch sicher eine halbe Stunde vergangen sein, und dann stellt sich heraus, daß es wenig mehr als eine Minute war, die man geträumt hat.
    Bis halb fünf — also drei Stunden lang — geschah überhaupt nichts. Ich hörte nur das leise Geräusch der Uhr, wenn der Zeiger wieder um einen Strich weiterrückte.
    Und dann plötzlich geschah es.
    Ich hörte zuerst ein leises Scharren, fast wie das Geräusch einer Maus, die irgendwo knabbert. Ich sah in die Richtung und wußte sofort die Lösung des Rätsels.
    Eine der Betonplatten des Fußbodens hob sich. Ich sah, wie sie langsam aus dem Gefüge der Platten herauskam. Sie war mindestens zwanzig Zentimeter dick.
    Ich saß mit zusammengepreßten Lippen auf meinem Hocker. Er stand an einer Wand und erhielt von ihr gewissermaßen die Rückenlehne. Jetzt interessierte mich nur noch, wer aus diesem Loch zum Vorschein kommen würde.
    Zuerst kam überhaupt niemand. Ich sah nur zwei nervige Fäuste, die eine in die Betonplatte von unten eingelassene Eisenkrempe hochstemmten. Leise und vorsichtig setzten die beiden Fäuste die Platte beiseite. Dann winkten die beiden Hände.
    Das sollte wohl heißen, ich möchte in das Loch steigen.
    Ich blieb sitzen und zog langsam an meiner Zigarette. Die Hände kamen wieder aus dem quadratischen Loch und winkten.
    Mochten sie winken. Ich reagierte nicht. Dafür zählte ich die Platten, Vierte vom Gitter, sechste von der Wand, an der das Bett stand. Vier von links, sechs von oben, okay, das würde ich mir merken. Selbst wenn die Fäuste jetzt die Platte wieder über das Loch zogen, würde ich die richtige Platte wiederfinden.
    Der Kerl, der noch immer unsichtbar war, beschloß nun doch, seinen Schädel zu zeigen. Vermutlich konnte er nicht begreifen, warum ich nicht reagierte. Denn daß ein Todeskandidat mit Freuden einen Ausgang aus der Todeszeile benutzt, schien ihm von vornherein sicher zu sein.
    Aber ich wollte vorsichtig sein.
    Es scharrte wieder, die Hände kamen zum Vorschein, und dann erschien der Oberkörper des Mannes.
    Pfui Teufel, ich kann nicht sagen, daß mir das Gesicht gefallen hätte. Das erste, was ich sah, war, daß es ein Weißer war. Er hatte spärliches, schütteres graues Haar, eine scharf gebogene Nase und einen stechenden Blick.
    »Nun komm schon, du Idiot!« zischte er mir zu.
    »Wohin?« fragte ich, als ob ich gar keine Lust hätte, diese gemütliche Todeszelle zu verlassen.
    »Wohin?« äffte er ärgerlich nach. »Weg! Nach draußen!«
    Ich schnippte meine Zigarette weg. Erst jetzt fiel mir auf, daß dieser Kerl ja englisch sprach. Und ein Englisch, das sich verdammt nach Bostoner Hafenslang anhörte.
    »Hallo, Kollege«, sagte ich. »Stammst du aus
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