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0028 - Wir - in den Katakomben von Paris

0028 - Wir - in den Katakomben von Paris

Titel: 0028 - Wir - in den Katakomben von Paris
Autoren: Delfried Kaufmann
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einer angreifenden Hornisse, das sich rasch näherte.
    Ich packte Phils Arm. »Er kehrt zurück!« rief ich, und da sah ich schon die weiße Gischt der Bugwelle und den heranschießenden Schatten des scharf geschnittenen Bugs. Die ›Y‹ hatte gewendet, ihre Positionslichter waren gelöscht, und sie hatte zum rechten Ufer hinübergewechselt, so daß sie ganz nahe an uns vorbeirasen mußte.
    Da war sie schon. Wie eine bösartige Wasserschlange, mit weit aus dem Wasser ragender Schnauze und tief eingedrücktem Heck.
    Ich hatte, als ich vorhin nach oben lief, instinktiv nach der schweren Handtaschenlampe gegriffen. Jetzt riß ich sie hoch, drückte auf den Knopf.
    Der Schein fraß sich in die Dunkelheit, faßte das heranschießende Schiff, das jetzt mit uns auf gleicher Höhe war, und riß die Gestalt eines Mannes aus der Nacht, der breitbeinig an Deck stand.
    Es dauerte keine Sekunde, und doch sah ich alles mit einer Klarheit, als betrachtete ich in aller Ruhe im Louvre ein Bild. Der Mann war mittelgroß, seine rechte Schulter wölbte sich hoch wie ein verkrümmter Hügel, sein Kopf saß auf einem kurzen, vorgestreckten Hals. Sein Gesicht war eine große, breite Fläche mit einem offenen, klaffenden Mund, einer niedrigen, vielfach gefurchten Stirn, einer gebuckelten schiefen Nase und weit vorquellenden Augen. Es war kein Gesicht. Es hatte kaum Menschenähnlichkeit. Es war eine Fratze. Es war die ›Fratze‹, das Gesicht, mit dem die Natur jenen geheimnisvollen algerischen Bandenführer geschlagen hatte.
    Jetzt hob der Mann dort auf dem Deck den linken Arm mit einem weiten Schwung. Etwas Schwarzes, Rundes flog durch die Luft auf uns zu.
    Ganz instinktiv ließ ich den Knopf der Taschenlampe los und warf mich flach auf die Planken. Neben mir ging Phil zu Boden. Hinter uns klirrten die Scheiben des Maschinenraumfensters.
    »Über Bord!« rief ich, sprang auf, setzte im Lauf mit einem Hechtsatz über die Reling, und klatschend schlug das trübe Wasser der Seine über mir zusammen. Unter der Oberfläche tat ich drei, vier Schwimmzüge und tauchte auf.
    Als mein Kopf die Oberfläche durchstieß, passierte es. Im Inneren der ›Gundula‹ wurde es plötzlich hell, als sei dort ein Blitz entzündet worden. Für einen Sekundenbruchteil waren alle Einzelheiten auf unserem Boot klar zu erkennen. Dann flogen plötzlich die gesamten Aufbauten nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Gleichzeitig krachte es hallend.
    Im Selbsterhaltungstrieb ging ich unter Wasser, tauchte und entfernte mich weiter vom Schiff. Überall klatschte es.
    Holz- und Eisenteile regneten vom Himmel. Irgend etwas Großes sauste nahe an mir vorbei, senkrecht und durch das Wasser fast ungebremst in die Tiefe, als habe ein Riese einen Felsbrocken nach mir geworfen.
    Die Luft wurde mir knapp. Das Bombardement hörte auf. Ich tauchte auf.
    »Phil!« rief ich. Ich wußte nicht, ob er noch über Bord gekommen war.
    »Hier!« antwortete er ganz in meiner Nähe.
    Ich schwamm mit ein paar Stößen zu ihm hin.
    »Bist du okay?«
    »Soweit ja, bis auf irgend etwas, das mit meinem linken Arm los ist. Scheint mir ein Stück von der guten alten ›Gundula‹ daraufgefallen zu sein. Das war 'ne Bombe, wie?«
    »Und sogar ein ziemlich brisantes Ding.«
    Die Strömung hatte uns ein gutes Stück flußabwärts getrieben.
    Wir hörten Stimmen am Ufer. Auf der ›Serenite‹ waren Lichter aufgeflammt.
    »Hör zu«, sagte ich. »Es ist vielleicht gut, wenn sie glauben, sie hätten uns geschafft. Kannst du noch ein paar hundert Yard aushalten?«
    »Ich denke schon. Möchtest du heimlich an Land?«
    »Genau. Leg dich auf den Rücken. Ich ziehe dich!«
    »Danke, ich denke, es ist nicht nötig. Wir müssen den Kopf einziehen, wenn es unter Brücken durchgeht. Es fällt ziemlich viel Licht von oben ins Wasser.«
    Mit Rücksicht auf Phils Arm legte ich kein großes Tempo vor, aber er hielt sich gut. Wir tauchten vor den Brücken, richteten es so ein, daß wir unmittelbar unter ihnen wieder hochkamen, und tauchten erneut, bis wir die Lichtzone an der anderen Seite passiert hatten. Ich denke, wir schwammen so an eine Meile. Der Muß machte ein paar Schleifen, und es wurde an den Ufern wieder still. Der Schein der Explosion drang nicht bis hierher und hatte die Leute nicht auf gestört.
    »So, ich denke, wir riskieren es jetzt«, sagte ich.
    Wir steuerten aus der Flußmitte das linke Ufer an, das uns hier besonders unbeleuchtet zu sein schien. Anscheinend wurde an dieser Stelle gebaut.
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