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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister
Autoren: Gerhart Hartsch
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und drohend aus der Flanke des Berges aufragte, ein schauerliches Zeugnis gebend für eine Welt jenseits der menschlichen Sinne.
    Der Bürgermeister hatte die Spitze des Zuges übernommen, ein Platz, den ihm niemand streitig machte.
    Sie drangen in das Wohnhaus ein.
    Vincent Valadin setzte als erster seinen Fuß auf die Treppe zum ersten Stock. Und wieder erklang dieses schauerliche Stöhnen und Ächzen, als durchleide ein Mensch alle Höllenqualen.
    Halb geschoben von den Nachdrängenden, halb aus eigenem Antrieb, nahm Valadin die ersten Stufen.
    Seine Faust krampfte sich um das Kruzifix aus Rosenholz, das er um den Hals trug. Langsam gelangte die Schar in den ersten Stock.
    Es dauerte eine Weile, ehe sich Valadin dazu aufraffte, die Türklinke in die Hand zu nehmen. Vorsichtig öffnete er, immer damit rechnend, der schwarze Abt könnte ihm entgegen springen.
    Valadin hielt den Atem an.
    Behutsam brachte er den Kopf nach vorn, riskierte einen Blick auf den Tobenden, der sich auf seiner Lagerstatt hin und her warf, als bearbeite jemand seinen Leib mit glühenden Zangen.
    Schaum stand vor Bill Flemings Mund.
    Ruhelos warf sich der Amerikaner vor und zurück. Er zerrte an seinen Stricken. Seine Augen waren blutunterlaufen.
    »Der verrückte Amerikaner!«, stellte Valadin fest.
    »Warum hat ihn der Professor gefesselt?« fragte jemand.
    »Warum wohl?« schnaubte Vincent Valadin, entrüstet über soviel Mangel an Kombinationsgabe. »Der Kerl ist gemeingefährlich. Manasse hat ihn verhext. Käme er frei, würde er bedingungslos die Befehle des schwarzen Abts ausführen und wie ein Rasender über uns herfallen. Der würde nicht einmal vor Frauen und Kindern haltmachen. Er ist vom Bösen beherrscht.«
    »Wir müssen dem schwarzen Abt und seiner Kreatur zuvorkommen«, wisperte die alte Frau, die sich zu den Männern gesellt hatte, während sich draußen vor dem Tor die Neugierigen drängten und nicht wagten, näher zu kommen. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Niemand wollte versäumen, was sich auf dem Gehöft der roten Hexe abspielte, einem Ort, der von jeher verdächtig gewesen war.
    »Schlagt ihn tot!« brüllte jemand hysterisch. »Macht ihn fertig, ehe er uns etwas tun kann.«
    Die Meute stimmte zu.
    Die Leute gerieten außer Rand und Band. Sie standen im Hoftor und forderten lärmend den Tod des Amerikaners.
    Valadin zögerte.
    Er trat zu Bill Fleming.
    »Kann ich Ihnen…?« setzte der Bürgermeister zu einer Frage an.
    Er prallte zurück. Aus Flemings Achselhöhle schoß eine weiße Schlange, Symboltier der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹.
    Die Anwesenden kreischten auf.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und es wäre zu einer Panik gekommen.
    »Da habt ihr den Beweis!« kreischte die alte Frau.
    Ihre knochige Hand wies anklagend auf Bill Fleming. »Dieser Mensch hat sich mit dem Bösen eingelassen und wird von ihm beherrscht. Tötet ihn!«
    »Tötet ihn! Tötet ihn!« heulte die Menge draußen.
    Der Schmied des Dorfes, ein Hüne, trat vor. Er riß die Lederriemen entzwei, packte Bill Fleming einfach an den Fußfesseln, zerrte ihn vom Bett und hinter sich her die Treppe hinab.
    Wie ein Tollwütiger schnappte der Amerikaner nach allem, was ihm zu nahe kam. Und als der Hund der roten Hexe winselnd und mit allen Zeichen der Angst vor dem rasenden Opfer zurückwich, da wurde das als Gottesurteil genommen.
    »Der gehört auf den Scheiterhaufen!« schrillte die boshafte Alte.
    »Verbrennt ihn! Das ist ein Hexer!«
    »Auf den Scheiterhaufen!« wurde die Forderung vielstimmig aufgenommen. »Übergebt ihn den Flammen!«
    Bewegung kam in die Menge. Zahlreiche Helfer trugen Reisig herbei. Es gab genug davon hinter der Scheune der roten Hexe, die dort ihren Wintervorrat angelegt hatte.
    In Windeseile entstand ein riesiger Scheiterhaufen, halbkreisförmig angelegt um einen Pfahl, den die Männer in die Erde schlugen.
    Sie packten den zähnefletschenden Amerikaner und banden ihn dort fest.
    Bill Fleming schien nichts von dem zu begreifen, was mit ihm geschah. Er wehrte sich nicht gezielt. Er versuchte nicht, sich zu verteidigen. Er bekam wohl kaum mit, wie nahe er dem Tod war, bedrängt von einer fanatischen Menge, deren Angst in Wut umgeschlagen war.
    Jahrhundertealte Unterdrückung, Furcht vor dem blutigen Treiben der allmächtigen Mysterienbrüder, das Leiden unter der Knute des schwarzen Abtes schlug um ihn rotglühende Wut.
    Pelote wollte ein Opfer, einen Sündenbock, wollte sich rächen.
    An Manasse kam man nicht heran.
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