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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Autoren: E Greiff
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Knochenmesser der Merzer. Babu verstand zwar nicht, womit er sich dieses kostbare Geschenk verdient hatte, aber er zögerte nicht lange und nahm es an.
    Der schwarze Stahl war ein Versprechen: Babu war und blieb ein Sohn des Friedens, aber vollkommen wehrlos musste er sich nun nicht mehr fühlen. Jator war stumm vor Staunen, als Babu sich mit der Klinge ganz sanft über den Unterarm fuhr und sich die Haare rasierte, als würde er einen Fladen mit Butter bestreichen.
    Aber ansonsten hatte Babu den Dolch stets verborgen gehalten. Er benutzte ihn nur, wenn er, wie jetzt, vor seinem Zelt für sich war und Pfeile machte. Die störrischen Ponyhaare ließen sich leichter zuschneiden und auch die Pfeilspitzen wurden schärfer, wenn er sie mit seinem Welsendolch schnitzte. Die Schmiedekunst war den Merzern nicht vollkommen fremd, aber kein eigenes Gewerbe. Ihre Ponys waren unbeschlagen, ihre Waffen waren Pfeil und Bogen sowie kurze, leichte Speere, wie die Pfeile aus Schilfrohr, Binsen und Ponyhaar gefertigt. Die Rüstungen, die nun seit bald zwanzig Soldern nicht mehr angelegt worden waren und langsam spröde wurden, waren aus Leder. Das Lange Tal war arm an Erzen und die Merzer gruben nicht danach   – in den Bergen danach zu suchen war ihnen unvorstellbar und kein Merzer hätte freiwillig eine Höhle betreten, von einem Stollen ganz zu schweigen. Sie sammelten erzhaltige Steine, die der Fluss im regenreichen Firsten mit ins Tal brachte, und mit ein wenig Glück wurden daraus dickwandige eiserne Töpfe, krumme Bratenspieße, klobige Hämmer und Handäxte, die beim Zerteilen von Schlachtvieh mehr schlecht als recht ihren Dienst taten.
    Ganz anders als dieser Dolch, der nicht stumpf wurde. Babu reckte sich, um nach einer Knochenspitze zu greifen, und ein heftiger Kopfschmerz schlug ihm gegen die Schläfen. Er ließ sich zurückfallen auf Kissen und Felle, streckte die Beine aus und schloss die Augen. Er dachte an Tascha. Tascha, die so hübsch ausgesehen hatte in ihrem Kleid aus rot gefärbtem Leder,mit ihren geölten, hochgedrehten Zöpfen, mit ihrem Lächeln. Tascha, die gestern geheiratet hatte und die der Grund für den furchtbaren Kater war, der Babu nun quälte. Er hatte sie gewollt, aber doch nicht genug gewollt, und am Ende war Kager schneller gewesen. Er hatte einiges aufbieten müssen: Mehr als fünfhundert Kafur hatten Kagers Hirten am Festzelt vorbeigetrieben.
    Nun war auch Jators Familie wohlhabend. Eine Tochter zu haben war ein großes Glück, denn sie versprach Reichtum. In den Zeiten der Auseinandersetzungen unter den Clans, die viele Generationen von Männern verschlungen hatten, war es nicht so offensichtlich gewesen, aber nun, da kein Mann mehr eines gewaltsamen Todes starb, wurde das Ungleichgewicht unter den Geschlechtern offenbar: Auf drei neugeborene Jungen kam nur ein Mädchen, dem von klein auf viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. So wuchs das Mädchen zu einer selbstbewussten, stolzen Merzerin heran, die es gewohnt war, dass man sich um sie bemühte. Es wurde von ihr nicht viel mehr erwartet, als dass sie ihren Ehemann aus vielen Anwärtern sorgfältig auswählte und den Besitz der Familie zusammenhielt, denn auch der wurde über die weibliche Linie vererbt. Hatte sie bei der Wahl des Ehemanns einen Fehler gemacht, stellte er sich als ungeschickter Hirte heraus oder trank zu viel, oder wollte sie gar aus Liebe heiraten, konnte sich eine Merzerin auch zwei Männer nehmen. Der Brauch hatte, genauso wie das Erbrecht, zu Kriegszeiten einen Sinn gehabt, war aber vor einigen Soldern vom Thon als rückständig getadelt worden, was einem Verbot gleichkam. Jator hatte noch zwei Väter   – aber Tascha war nun vergeben.
    Babu richtete sich wieder auf und sah den Abend seine dunklen Herden über den Himmel treiben. Er rieb sich den Nacken, seufzte. Er hatte keine Binsen mehr, er müsste neueschneiden, aber nicht mehr heute. Jator hatte recht, er ließ das Leben an sich vorbeiziehen. Aber Babu wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Leben, das er verpasste, das Leben der anderen war, nicht seines. Er betrachtete den schwarzen Dolch, dessen glatte Klinge sein vom Feuerschein rötlich erleuchtetes Gesicht spiegelte. Nachdenklich blickten ihm die hellbraunen, ungewöhnlich runden Augen entgegen. Babu war nicht nur größer als alle anderen seines Volks, auch sein Antlitz war mehr das eines entfernten Verwandten denn das eines Bruders. »Kieselauge« hatten sie ihn gerufen, als er noch ein Kind war, aber auch, als
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