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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Autoren: E Greiff
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immer größer wurde, ein weitverzweigter Wühlhasenbau. Babu wurde untergraben von den Fragen nach seiner Herkunft, nach den genauen Umständen des Todes seines Vaters und von dem unerklärlichen Misstrauen, das er seinem Onkel, seinem Thon, entgegenbrachte. Und auch seine Mutter füllte das Loch in Babu nicht mit Geschichten über den Vater. Sie erzählte nie, wie er
gewesen
war, sondern nur, was er
geleistet
hatte. Selbst sie schien nicht zu begreifen, was Babu umtrieb, und sie ließ es zu, dass er sich immer weiter von ihr entfernte. Sie sahen sich kaum noch.
    Aber konnte er seiner Mutter vorwerfen, dass sie nicht erinnert werden wollte? Dass sie den Frieden leben wollte, für den ihr Mann gekämpft hatte und für den er schließlich gestorben war? Ardat-Ilbak Bator war gefallen, im letzten Gefecht, beim letzten Versuch der Tartor, die Einigkeit der Clans zu verhindern. Er war tot.
    »Und du musst endlich anfangen zu leben. Mach das, was alle machen, und lass das Fragen sein.« Babus Spiegelbild im Dolch lächelte nicht. »Vergiss das Kinderglück und such dir ein neues. Und   … zwei Zehnen lang kein Schluck Bier, verstanden?«
    »Mit wem sprichst du da?«, fragte eine Stimme aus dem Dunkel außerhalb des Lichtkreises von Babus Lagerfeuer.
    Erschrocken und verärgert ließ Babu den Dolch zwischen den Fellen und Kissen verschwinden.
    »Wer ist da? Was willst du?«
    Es war Kolra, ein Enkel des Thons, der unerlaubt und unbemerkt in Babus Pferch gekommen war und nun ins Licht des Feuers trat.
    »Was machst du hier, kleiner Schleicher, sieh zu, dass du ins Bett kommst!«
    »Aber Großvater schickt mich, ich soll dich holen. Und außerdem ist es noch früh, ich muss noch lange nicht ins Bett!«
    Babu tat es augenblicklich leid, dass er den Jungen angefahren hatte.
    »Was will der Thon denn von mir? Ich hatte nicht vor, heute noch in die Stadt zu gehen.«
    »Ich soll dich aber holen«, beharrte der Junge und blickte ihm trotzig ins Gesicht. Er war genauso stur, wie Babu es selbst in dem Alter gewesen war.
    Der Thon ließ ihn also holen? Das war noch nie geschehen. Es musste wichtig sein.
    Babu erhob sich ächzend und blieb einen Moment still stehen, bis der Schwindel vergangen war. Dann schlug er den langen Lederlappen vor den Zelteingang, trat das Feuer aus und folgte dem kleinen Kolra zum Haus des Thons im Zentrum Bator Bans.

 
    DRITTES KAPITEL
EIN UNGEHEUERLICHES GESCHENK
     
    Die aus edlen Hölzern gefertigten Doppeltüren zur großen Halle waren mit Schnitzereien verziert, die zwei schwere Kafurbullenhäupter darstellten. Sie standen offen, ein Schloss oder einen Riegel gab es nicht. Wer sein Leben lang in einem Zelt gelebt hatte, vertraute auf die Sitte seiner Landsleute, niemals unaufgefordert den privaten Bereich eines anderen zu betreten. Auch Babu blieb an der Schwelle stehen, bis der Thon ihn wahrgenommen hatte und zu sich heranwinkte. Talgfackeln erleuchteten den langen, niedrigen Raum und verrußten den auf Holzsäulen ruhenden spitzen Giebel. Der harte Lehmboden war mit Fellen und Teppichen ausgelegt. Die Halle hatte mehr von einem Zelt als alle anderen Häuser der Stadt.
    Die ersten Vorboten des Alters hatten silberne Strähnen ins schwarze Haar Bator Thons gewebt und die Falten um seine wachsamen dunklen Augen vertieft. Dennoch, und obwohl er Babu nur bis zur Brust reichte, war er stattlich und seine Bewegungen waren gelassen, seine Stimme voll und ruhig. Die langen Haare waren zu drei Zöpfen geflochten: Einer hing schwer und dick den Rücken hinab bis zum Gürtel, zwei kürzere, feinere fielen nach vorn über die Brust. Er war nach alterTradition in das feine, blassgelbe Merzleder gekleidet, nur das mit schimmernden Metallplättchen bestickte Wams verriet seine Vorliebe für alles Neuartige. Warum sollte er nicht schwere Holztische aufstellen, wenn es darum ging, sich bei Besprechungen mit den anderen Clanführern über ausgebreitetes Pergament zu beugen? War das nicht viel bequemer, als immer auf dem Boden zu hocken? Bator Thon war klug genug, die ehemaligen Führer oder deren Söhne in seine Entscheidungen mit einzubeziehen; man traf ihn selten allein an, ständig waren einige Mitglieder seines Rates um ihn. So auch jetzt   – während Babu die Halle durchschritt und auf die Männer zuging, zählte er und fand alle neun vollständig versammelt. Es musste also wirklich wichtig sein.
    »Mein lieber Neffe«, begrüßte ihn Bator Thon, »lässt sich nicht bei seinem alten Onkel blicken, wenn man
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