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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Maron
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Maul eine schaurige Fratze grinste.
    Das ist doch Goya, rief ich, hielt mir aber gleich erschrocken die Hand vor den Mund. Seht ihr das auch?
    Aber gewiss doch, Gnädigste, sagte Bruno, was Sie sehen, sehen wir auch. »Das Begräbnis der Sardine«, um 1816 , wenn ich nicht irre.
    Olga gestand, von diesem Bild noch nie gehört zu haben, dass es aber nun, da es ihr leibhaftig und bewegt vor Augen stehe, sehr zwiespältige Gefühle in ihr auslöse. Die Leute da tanzten zwar und wirkten fröhlich, und doch hänge etwas Bedrohliches und Gewalttätiges in der Luft. Seht ihr, auch der Hund verkriecht sich schon ins Gebüsch, sagte Olga und zeigte auf Nicki, der gerade geräuschlos im Dunkel der Sträucher verschwand.
    Wer ist die Sardine, die da begraben wird?, fragte Olga leise.
    Der Fisch, flüsterte ich, die begraben den Fisch am Aschermittwoch zum Ende des Karnevals. Das machen sie bis heute so.
    Aber warum begraben sie den Fisch, wenn am nächsten Tag die Fastenzeit beginnt, fragte Olga, und warum sehen sie aus, als wollten sie gleich aufeinander losgehen?
    Bruno meinte, sie wollten wahrscheinlich nicht fasten, sondern lieber Fleisch essen.
    Ich war hingerissen von dem durch einen Zauber lebendig gewordenen Bild. Davon hatte ich oft geträumt, wenn ich vor einem Gemälde stand und nach seinen Geheimnissen suchte: eine Geste, die nach ihrer Vollendung verlangt, ein zum Schlag erhobener Arm, der vielleicht im letzten Augenblick von Erbarmen gestoppt wird, ein Boot im hochschäumenden Meer, das von der nächsten Woge verschlungen wird oder verschont bleibt. Jetzt aber lösten sich die seit zweihundert Jahren erhobenen Arme der Tänzerinnen aus der Starre und schwenkten fröhlich durch die Luft, und die Gestalt im Bärenkostüm, die auf dem Bild aussah, als wollte sie sich gleich auf die tanzenden Mädchen stürzen, tanzte mit ihnen im Kreis, aber der Kapuzenmann näherte sich ihnen bedrohlich, als wollte er gleich eines der Mädchen packen.
     
    Es ist wunderbar, sagte ich, aber ich verstehe nicht, wie die hierherkommen, in unseren Park.
    Bruno hob in demonstrativer Hilflosigkeit die Arme, sah ratlos zu Olga, dann zu mir.
    Gnädigste, haben Sie denn immer noch nicht verstanden? Nur Sie können wissen, warum wer hier ist, Sie allein. Auch wir, Ihre wehrlosen Zeugen, sind nur hier, weil Sie es so wollen. Strengen Sie sich an, denken Sie nach.
    Warum sollte ich gewollt haben, dass Goyas düsterer Karneval durch einen Berliner Park tobte? Den ganzen Tag über hatte sich diese Szene in beunruhigenden Geräuschen angekündigt. Das bedeutete, wenn Bruno recht hatte, dass ich sie erwartet, wenn nicht selbst heraufbeschworen hatte. Vielleicht habe ich dem Traum dieses Tages nicht trauen können und ihm darum, ohne es gewahr zu werden, ein böses Ende bestimmt. Denn je länger ich dem Treiben zusah, umso unheilvoller schien es mir.
    Der Kapuzenmann umkreiste das Mädchen mit stampfenden Schritten, auch das übermütige Hüpfen des Mädchens ging allmählich in Stampfen über, auch das andere Mädchen begann zu stampfen, auch die Bärengestalt, alle Herumstehenden begannen zu stampfen und steckten die nächsten an, bis die ganze Wiese bebte unter dem rhythmischen Stampfen tausender Füße. Ein anschwellendes dumpfes Summen erhob sich aus der Masse, die stampfend in Bewegung geriet. Die rotwangigen, puppenhaften Gesichter der Tänzerinnen verschwammen mir zu einem konturlosen hellen Fleck. Zuerst glaubte ich an ein neuerliches Versagen meiner Sehkraft, was sich aber schnell als Irrtum herausstellte, da ich die Gesichter der Männer so gut erkennen konnte wie zuvor. Aber auch ihre Gesichter schienen sich zu verwandeln, manchen wuchsen plötzlich lange Bärte, statt ihrer Hüte und Mützen trugen sie seltsame Barette und Kappen. Nur das schwarze Banner mit der Teufelsfratze schwankte unverändert über dem wilden Getümmel, das sich allmählich und immer noch stampfend zu geraden Reihen formierte, so dass es aussah, als wollten sie geradewegs auf uns zumarschieren. Ich sah die Frauen nicht mehr.
    Wo sind denn die Frauen geblieben, fragte ich.
    Hinten, sagte Olga, ganz hinten.
    Und dann hallte wieder der wimmernde Greisenlaut durch die Luft, der uns vorhin schon erschreckt hatte. Diesmal blieb Nicki in seinem Versteck stumm. Wir sahen nicht, woher die Stimme kam, und verstanden nicht, was sie rief.
    Aber die Menschenmasse auf der Wiese antwortete etwas, das wir auch nicht verstanden. Noch einmal erklang die Greisenstimme. Wie auf Befehl
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