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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter
Autoren: Ulrich Straeter
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Beispiel in ‘Der dritte Polizist’ von
Flann O’Brien eine noch größere, fast makabre Tiefe erreicht. Ich frage mich,
warum sie (Ilse) wohl so etwas Maritimes liest, obwohl sie doch mit der
Schiffahrt lieber nichts zu tun haben will. Schon zweimal hat sie heute abend gesagt, daß ihr auf dem Schiff jemand bekannt
vorgekommen ist.
    Ob sie die
Strecke öfter fährt?
    Energisch
streitet sie das ab.
    Ich habe
nichts gesagt, nur gedacht.
    Das blonde
Gift am Klavier ist verschwunden, einer der Passagiere versucht sich an den
Tasten mit einem Blues. Vielleicht fliegen wir
demnächst mal nach Irland. Wir haben uns gestern auf dem Airport Cork, direkt
unterhalb unseres Campingplatzes, angesehen, wie einfach das geht. Und schnell!
In vierzehn Stunden nach Rio, anstelle nach Roscoff.
    »Was w ills t du denn in
Südamerika ?« fragt Ilse plötzlich.
    Habe ich
etwas gesagt?
    Der Mann am
Klavier spielt jetzt Lieder aus den zwanziger Jahren. Das hätte unseren Eltern
gut gefallen.
    Es ist Nacht
geworden, dunkle Nebelfetzen wabern am Fenster vorbei, die Fähre zieht ruhig
ihre Bahn, hoffentlich den richtigen Kurs, wenn die Elektronik nicht versagt; unsere
Medizin wirkt beruhigend und schmeckt, Ilse lacht und der Kapitän kann
zufrieden sein. Ob wir unsere Kabine überhaupt brauchen, wenn das weiter so
träumerisch ist in der Bar auf der ‘Val de Loire’, auf dem Ärmelkanal zwischen
Cork und Roscoff? Eisberge sind nicht in Sicht, Titanic adé!
    Ach, unsere
Kabine da unten, weit unter der Wasserlinie, zehn Decks unter uns, erreichbar
mit dem Fahrstuhl.
    »Wie ist das
eigentlich, wenn eine starke Welle das Schiff hochhebt und man schwebt gerade
mit dem Aufzug nach unten ?« fragt Ilse.
    Die Medizin
scheint gut gewirkt zu haben.
    Irgendwann
sind wir dann doch mit dem Fahrstuhl nach unten in die Bilge getaucht. Ruhig
gleiten wir in unserem U-Boot durch die See, schlafen etwas, träumen gar — und
werden kurz vor fünf Uhr von einem nervigen, elektronischen Big Ben-Geläute aus
dem Kabinenlautsprecher geweckt. Big Ben auf einem französichen Schiff? Damit
kann man wohl den hartgesottensten Iren aus dem Schlaf jagen...
     
    Wir stehen
an der Reling. Aus dem Dunst tauchen die Fläuser und der Leuchtturm von Roscoff
auf. Wir nähern uns dem Fähranleger. Männer in blauen Latzhosen kommen mit
Autos und Mopeds auf den Kai gefahren, um die dicken Taue um die Poller zu
legen.
    Langsam
schiebt die Fähre sich seitwärts mit der Scheuerleiste an die hydraulischen
Fender heran, dann ein letzter Ruck: wir sind da.
     
    1.176
Kilometer zeigt der kleine Kilometerzähler an meiner Vorderradgabel. Über
tausend.
    Aber darauf
kam es nicht an.
     

     

BRIEF AN
HEINRICH BÖLL...
     
     
    Essen, im Februar 1996
     
    Lieber
Heinrich Böll, dear Henry,
     
    junge,
rothaarige Irinnen auf Fahrrädern gibt es noch immer. Natürlich tragen sie
jetzt bunte moderne Kleidung, T-Shirts und Jeans, benutzen Mountain Bikes oder
Herrenrennräder. Und noch immer ist das Post Office am Sonntag geöffnet, das
Loch in der eisernen Brücke mit einem Holzbrett geflickt. In unserem Heimatland
wäre die Brücke sicherlich gesperrt, wie die Rolltreppen am Hauptbahnhof, die
nicht mehr repariert werden.
    Irische
Jungen üben europäischen Fußball; gut schießen können sie nicht (aber das wird
noch werden, da bin ich sicher).
    Die Vorhänge
in den Pubs werden um 22 Uhr zugezogen, aber ich glaube, sie nehmen es nicht
mehr so ernst. Die Frauen sitzen mit im Pub, nicht mehr in der Lounge, das ist
nun selbstverständlich.
    An manchem
Curragh hängt hinten ein Außenbordmotor, ja, die Zeit bleibt nicht stehen.
     
    Habe ich
schon erzählt, daß es ganz viele Plastiktüten vom Supermarkt gibt, die überall
herumfliegen? Die weißblauen sind von Spar, die weißroten von Valu. Irland
gehört seit Jahren zur Europäischen Gemeinschaft, die jetzt Union heißt; es hat
sich vieles verändert, nicht nur auf dem Agrarsektor. Nicht bei den Schafen,
die sind noch immer da, reichlich, und liegen auf dem warmen Asphalt am Rand
der Straßen. Doch die Autos haben sich die Straßen erobert, endgültig.
Bescheidener Wohlstand, ungleich verteilt, wie das im Kapitalismus so ist, hat
sich entwickelt; aber auch 21 % Arbeitslosigkeit zeugen, wie bei uns, vom
Versagen hochdotierter Politiker.
    In den
Städten wird gebettelt und gesammelt wie ehedem, und der Traktor neulich, mit
den wabernden Vorderrädern, er stammte sicherlich aus den 50er Jahren.
    Was gibt es
nicht, oder immer noch nicht?
    Ja,
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