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Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Titel: Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Autoren: Tamara Ireland Stone
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nicht gibt. Abgesehen von Bennett bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der weiß, dass es zwei Versionen dieses Samstags gibt: die erste, die mit einem schrecklichen Unfall endete, und die zweite, in der wir mit der Bahn nach Chicago fuhren, durch Plattenläden streiften und abends ins Kino gingen. In der ersten Version saß Justin erschüttert an Emmas Bett, in der zweiten erlebte er ein fröhliches Doppeldate mit mir und Bennett.
    Irgendetwas Entscheidendes musste zwischen den beiden an jenem Tag passiert sein, das dazu führte, dass sie sich einander wirklich öffneten und ineinander verliebten. Vielleicht geschah es während des Gesprächs in Emmas Zimmer oder während der Autofahrt– möglicherweise war es sogar der Unfall selbst, der etwas in ihnen ausgelöst hat, das sie zusammenschweißte. Was auch immer es war, Bennett und ich haben es ausradiert. Wir haben in den Lauf der Ereignisse eingegriffen und dadurch etwas Grundsätzliches verändert. Ich muss mir eingestehen, dass Bennett wahrscheinlich von Anfang an recht gehabt hat: Wenn man selbst Schicksal spielt und in das Leben anderer Menschen eingreift– auch wenn es in der allerbesten Absicht geschieht–, muss man immer damit rechnen, dass das Abwenden eines Unglücks früher oder später doch noch unerwünschte Folgen haben könnte.

39
    Obwohl es erst halb sieben ist, hat die Sonne das Thermometer schon auf achtundzwanzig Grad klettern lassen. Ich ziehe Shorts und ein Trägershirt an, stopfe meine Locken hinten durch den Riemen der Baseballkappe und schlüpfe in die schwarzen Oakleys, die ich mir vor meiner Mexikoreise geleistet habe.
    Als ich an dem Mann mit dem grauen Pferdeschwanz vorbeikomme, winke ich und rufe ihm ein so begeistertes » Hi!« zu, wie er es wahrscheinlich noch nie von mir gehört hat. Wir sind uns in den letzten drei Jahren jeden Montag, Mittwoch und Freitag hier auf der Strecke begegnet und einen Moment lang bin ich fast versucht, stehen zu bleiben, um ihm zu sagen, dass ich ihn vermissen werde und dass er sich keine Sorgen machen soll, wenn er mich die nächsten zweieinhalb Monate nicht sieht, weil ich in Mexiko am Strand trainieren werde.
    Nachdem ich meine sechs Kilometer hinter mir habe und wieder zu Hause bin, mache ich auf der Veranda meine Dehnübungen und sehe mich dabei nachdenklich um. Ob sich wohl irgendetwas hier verändert haben wird, wenn ich zurückkomme? Aber dann muss ich über mich selbst lachen– was soll sich in zehn Wochen schon groß verändern? Höchstens vielleicht ich selbst.
    Als ich die Tür öffne, bleibe ich erstaunt stehen. Mitten in der Diele steht ein schwarzer Schalenkoffer, um dessen Griff eine riesige rote Schleife gebunden ist.
    Im selben Moment kommt mein Vater aus der Küche und zieht meine Mutter, die noch ihren Morgenmantel anhat, an der Hand hinter sich her. » Ein kleines Geschenk von uns für deine große Reise.«
    » Mein erster eigener Koffer!«, rufe ich und falle meinen Eltern lachend um den Hals.
    Mom drückt mir einen Kuss auf die Wange. » Ich bin unglaublich stolz auf dich«, flüstert sie mir ins Ohr.
    » Vielen Dank, Mom.« Ich halte sie ein Stück weit von mir weg und sehe sie an. » Sei nicht traurig. Ich bin ganz bald wieder da.«
    » Ich weiß«, sagt sie und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. » Du bist so viel mutiger, als ich es je gewesen bin.«
    Ich nehme ihr Gesicht in beide Hände. » Das stimmt nicht. Schau dir doch nur mal an, wie mutig du bist, dass du mich gehen lässt.« Und dann drücke ich sie noch einmal ganz fest an mich.
    ***
    » Annie! Emma ist da!«, ertönt Dads Stimme von unten.
    » Komme!« Ich sehe mich ein letztes Mal in meinem Zimmer um und ziehe dann den Reißverschluss am Koffer zu. Er ist nicht besonders voll, weil ich nur ein paar leichte Sommerkleider, Shorts und Tops, meine Laufklamotten, den Discman, CD s, Flip-Flops und ein kleines Schminktäschchen eingepackt habe. Mehr werde ich für den Sommer am Strand nicht brauchen.
    Bevor ich gehe, stelle ich mich noch einmal vor meine Weltkarte, betrachte die roten Nadeln und erinnere mich an das Gefühl, mit nackten Füßen durch den weißen Sand des Strands von Ko Tao zu laufen, wie sich der raue Fels im Devil’s Lake State Park unter meinen Fingern anfühlte und an den atemberaubenden Sonnenaufgang in Vernazza, der das ganze Tal rosa gefärbt hatte. Zuletzt drücke ich einen Kuss auf meine Fingerspitzen und berühre damit ganz sanft die Nadel, die in San Francisco steckt.
    Als ich,
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