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Zweibeiner sehen dich an

Zweibeiner sehen dich an

Titel: Zweibeiner sehen dich an
Autoren: Damon Knight
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beruhigen“, verteidigte sich Wenzel, „aber er sagte, daß ich ihm gar nichts zu befehlen hätte. Er sei nicht Fritz, sondern heiße Martin Naumchik.“
    Grück biß sich auf die Unterlippe. „Hm“, meinte er. Er wühlte unbewußt in seinen Papieren, musterte sie dann erstaunt und wischte sie zur Seite.
    „Er sagte mir auch“, erzählte Wenzel, „daß der echte Fritz sich seines Körpers bemächtigt habe und verschwunden sei, mit seinen Kleidern und mit seiner Kamera.“ Grück stützte den Kopf in beide Hände und starrte Wenzel, der auf dem kleinen Bildschirm wie ein Foto seiner selbst aussah, an. Der Oberaufseher wirkte wie eine Puppe, die jemand mit einer häßlichen Phantasie konstruiert hatte. Demgegenüber sah er in voller Größe wirklich nicht so schlecht aus, wenn man mal von seinen haarigen Nasenlöchern und seinem hervorstechenden Adamsapfel absah – aber in seiner Puppengröße war er unausstehlich.
    „Was haben Sie bisher unternommen?“ fragte Grück.
    „Wir haben ihn festgesetzt“, erwiderte Wenzel.
    „Was halten Sie persönlich von der Sache?“
    „Das Tier ist gemütskrank.“
    Grück schloß die Augen für einen Moment und kniff sich in die Nasenwurzel. „Es muß nicht unbedingt ein Anzeichen einer schlechten Gemütsverfassung sein, Wenzel. Wir haben Emma jetzt seit zehn Jahren hier und während dieser Zeit überhaupt keine Schwierigkeiten gehabt, nicht wahr? Vielleicht fürchtet Fritz sich nur, weil er seine gewohnte Umgebung verloren hat. Vielleicht sehnt er sich nach Sicherheit und macht die Sache deshalb so übertrieben dramatisch. Können Sie mir in den Handbüchern Fälle zeigen, die belegen, daß es Zweifüßler gegeben hat, die gemütskrank wurden?“
    Wenzel blieb ruhig, sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. „Nein.“
    „Lassen Sie uns nicht überstürzt handeln. Immerhin ist Fritz unser derzeit wertvollstes Tier. Freundlichkeit kann manchmal bessere Auswirkungen nach sich zie hen als harte Worte oder Strafe. Zeigen Sie ihm ein wenig Sympathie.“
    Er selbst lächelte und zeigte dabei seine kleinen, stumpfen Zähne. „Meinen Sie nicht auch, Wenzel?“
    „Sicherlich haben Sie recht, Herr Doktor“, erwiderte Wenzel, aber sein Gesichtsausdruck zeigte keinerlei Begeisterung. „Wir werden sehen.“
    „Gehen Sie zu ihm und reden Sie einmal vernünftig mit ihm, Wenzel. Wenn er sich beruhigt hat, bringen Sie ihn einmal zu mir.“
     
    „Ich kann Ihnen fünf Beweise dafür liefern, daß ich Martin Naumchik bin“, sagte der Zweifüßler erregt und mit hoher Stimme. Sein nackter, mit grünen Stacheln bewachsener Körper sah schlank und zerbrechlich aus, wie er auf dem hölzernen Stuhl saß. Er beugte sich über den Tisch. „Erstens kenne ich Berlin“, sagte er zu Wenzel und Grück, „wohingegen Ihr Tier niemals vorher hier gewesen ist, und sicherlich bisher auch noch nicht die Freiheit hatte, sich hier umzusehen. Fragen Sie mich nach allem, was Sie wissen wollen! Zweitens kann ich Ihnen die Namen zahlreicher Autoren und Redakteure nennen, ebenso die Namen aller Angestellten von Paris Soir; ich kann Ihnen meinen letzten Artikel Wort für Wort wiederholen – oder beinahe Wort für Wort … Wenn Sie mir eine Schreibmaschine überlassen, werde ich ihn noch einmal schreiben! Drittens …“
    „Mein lieber Fritz“, sagte Grück, breitete seine fetten rosa Hände aus und lächelte einschmeichelnd. „Drittens“, wiederholte der Zweifüßler ärgerlich über die Unterbrechung, „wird meine Freundin Julia Schorr für mich bürgen. Sie wohnt in der Heinrichstraße 41, Appartement 17. Ihre Visi-Nummer lautet Unter den Linden 8–7403. Ich kann Ihnen auch sagen, daß sie eine Siamkatze hat und sehr gut Spaghetti kocht. – Mein Gott, wenn ich es mir überlege, kann ich Ihnen sogar sagen, welche Unterwäsche sie trägt. – Viertens können Sie mich selbst prüfen: Ich habe ein Examen an der Sorbonne im Jahre 1999 gemacht. Fragen Sie mich über Literatur, Mathematik, Geschichte – was immer Sie wollen … Fünftens und Letztens: Ich bin Martin Naumchik! Ich bin immer Martin Naumchik gewesen! – Ich habe Ihren lächerlichen Zweifüßler bis heute noch nicht einmal gesehen. – Wenn Sie mir nicht helfen, dann dürfen Sie sicher sein, daß ich einen solchen Stunk machen werde, daß …“
    Er unterbrach seinen Redeschwall und fragte: „Nun?“ Wenzel und Grück sahen sich an. „Mein lieber junger Mann“, sagte Grück dann und fuhr durch sein schütteres, blondes Haar,
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