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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel
Autoren: Federica de Cesco
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trug einen Helm aus schwarzem Metall, der die obere Hälfte seines Gesichts bedeckte und durch zwei Schlitze nur den Glanz seiner Augen durchschimmern ließ. Ein blauer, sehr weiter, faltenreicher Mantel lag auf seinen Schultern. Er war ein hoch gewachsener Mann mit kupferner Gesichtsfarbe. Ein dichter, gelockter, sorgfältig gepflegter und parfümierter Bart fiel ihm auf die Brust. Das schwarze Metall seiner Rüstung schloss sich eng um die mächtige Muskulatur seines Oberkörpers.
    Â»Nun, mein Neffe«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, »da sind wir also am Ziel unserer Reise angelangt. Was hältst du von der Insel der Frauen?«
    Â»Ich hatte sie mir größer vorgestellt«, sagte Usir enttäuscht.
    Ein nachsichtiges Lächeln glitt über Torrs Lippen. »Lass dich nicht täuschen, mein Neffe. Die kriegerischen Frauen bilden einen mächtigen Staat. Die Bewohner der Inseln fürchten und achten sie.«
    Â»Die Bewohner der Inseln, das kann schon möglich sein«, entgegnete Usir geringschätzig. »Doch wir Atlantiden erfreuen uns der Gunst der Götter. Die Amazonen unterließen es, uns ihren Tribut zu entrichten wie jedes andere Volk. Wenn sie sich weigern diesen Tribut zu zahlen, dann sollen sie dafür bestraft werden.« Torrs schwarze Augen ließen nicht von ihm ab. »Ist das deine eigene Ansicht«, fragte er sanft, »oder schwatzt du nach, was sich die Leute erzählen?«
    Usir spürte verärgert, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Jedermann wusste, dass Zena, die Inselkönigin, den jährlichen Tribut von Salz, Erz, Purpurschnecken und Halbedelsteinen dem atlantischen Fürstenhaus verweigert hatte. Ihre Anmaßung hatte den Priester-König derart erzürnt, dass er einen Vergeltungsschlag angeordnet hatte. Die Strafexpedition, die Torr jetzt leitete, sollte die Amazonin an ihre Vasallenpflicht erinnern. »Zena ist eine Närrin«, stieß Usir trotzig hervor.
    Â»Sie hat Mut«, entgegnete Torr, immer noch lächelnd. »Sie scheut nicht davor zurück, uns ihre Verachtung spüren zu lassen.«
    Usir starrte ihn mit ungläubigem Staunen an. Die Worte seines Onkels brachten ihn aus der Fassung. Sollte das heißen, dass Torr Zenas Auflehnung billigte? Torr schien seine Gedanken zu erraten. Sein Lächeln erlosch. Der Helm, der Teile seines Gesichts wie eine Maske bedeckte, ließ die Veränderung seiner Züge kaum erkennen, doch Usir spürte die Schwermut in seiner Stimme.
    Â»Einst«, sprach er, »waren wir Atlantiden stolz auf unsere Rechtschaffenheit und unseren Mut. Heute sind wir stolz auf unsere Reichtümer. Unsere Kultur hat ihren Höhepunkt überschritten. Wir vergeuden unsere Fähigkeiten mit dem frevlerischen Versuch, uns die Naturkräfte zu unterwerfen. Doch was ist der Mensch angesichts der Unermesslichkeit des Alls und der Erhabenheit der Gestirne? Die Fortschritte unserer Wissenschaften vermögen nichts gegen die unbekannte Himmelsmacht, die unser Leben und unsere Zukunft bedroht …«
    Er seufzte und setzte halblaut hinzu: »Wer weiß, was morgen ist?«
    Er hatte den Kopf abgewandt. Usir folgte der Richtung seines Blicks. Torr betrachtete das neue Gestirn, das mit diamantenem Glanz im weißlichen Lichtkreis der Sonne leuchtete. Woher kam sie, diese neue Sonne, die im Frühling bei der Tagundnachtgleiche plötzlich erschienen war und das ganze Land in Schrecken versetzt hatte? Sie war ein bläulich funkelnder Glutball, der selbst in den heißesten Tagesstunden sichtbar blieb. Seit er aufgetaucht war, fiel kein Tropfen Regen mehr. Fürchterliche Trockenheit verwüstete das Land. Immer mehr Tiere starben. Astrologen und Wahrsager verbreiteten mit der Prophezeiung, dass eine Strafe des Himmels drohte, große Panik. Die Priester vervielfachten daher ihre Gebete und Opfer. Über den Palast jedoch schien Schweigen verhängt zu sein. Kein Laut drang über die dicken roten Mauern der heiligen Stadt. Man munkelte, der Priester-König sei von einer geheimnisvollen Krankheit befallen worden, denn seit dem Auftauchen des unheilvollen Gestirns hatte er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen. Alle Audienzen waren abgesagt worden. Selbst die Priester bekamen ihn nicht mehr zu Gesicht.
    Usir spürte, dass sein Onkel von düsteren Vorahnungen erfüllt war. Die Sorgen trübten sein Gemüt und gaben seiner Stimme diesen müden,
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