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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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einem Prinzen!«, brüllte sie aus Leibeskräften, trat in die Pedale und raste aus dem Saal.
    »Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Eure Wahl getroffen habt?«, fragte nun der König, nachdem er das Orchester mit einer herrischen Geste zum Verstummen gebracht hatte.
    Der Prinz befreite sich aus Prinzessin Isabellas Umklammerung und blickte zu Boden.
    »Offen gestanden, nein.«
    »Nein?«, donnerte der König.
    »Gebt mich frei, Majestät. Ich flehe Euch an, gebt mich frei. Ich weiß nicht, wer die Schönere von Euren beiden Töchtern ist. Aber ich werde es wissen, sobald ich etwas anderes herausgefunden habe.«
    »Was?«, fragte der König.
    »Wer ich bin.«
    »Wie bitte?«
    »Wer ich bin«, wiederholte der Prinz, hob den Kopf und sah dem König ins bärtige Antlitz. »Ich weiß ja gerade nicht einmal, was ich mehr fürchten sollte: den Thron oder den Tod«, sprach er und eilte davo n …
    Als ich aufwache, ist es sofort wieder da. Dieses klebrige Gefühl, der fade Nachgeschmack der Tragödie. Bizarre Fetzen eines Traums rauschen mir durch den Kopf und ich kann keinen Sinn in die verschwommenen Bilder bringen, ganz gleich, in welcher Reihenfolge ich versuche sie anzuordnen.
    Ich schiebe die Bettdecke zur Seite und richte mich auf. Ich brauche einen kurzen Augenblick, um die Lage vollständig zu erfassen: Ich bin bei Tante Doro, es ist Sommer, ich habe Ferien, ich bin nicht mehr mit Oliver zusammen.
    Durch die schmutzigen Fensterscheiben dringt zaghaft das Licht einer Nochziemlichfrühammorgensonne.
    Hallo, Tag, du schon wieder. Du gibst wohl nie auf.
    Hallo, Marie, lach doch mal. Steht dir besser.
    Ich steige aus dem Bett und tappe im Halbdunkel auf nackten Füßen über den kalten Holzfußboden zum Fenster. Ich mache es auf und atme tief ein. Die Luft schmeckt salzig und unverbraucht. Ich beschließe, dass es an der Zeit ist, meinen Kopf mal ein wenig durchzulüften. Was sagt die innere Stimme dazu? Ja, sagt sie. Meer!
    »Das Meer ist eine große Lady«, hat Tante Doro gestern Nacht zu mir gesagt. »Wenn du den Kopf voller Dinge hast und nicht mehr weißt, was wirklich wichtig ist, musst du dich mal für ein paar Minuten ans Meer stellen und den Wellen zusehen. Die Gedanken, die danach noch übrig bleiben, das sind die wichtigen.«
    Doro glaubt, dass das Meer diese Größe und Entspanntheit hat, die uns so oft fehlt, wenn uns das Leben gerade mal wieder anstinkt. Ich will, dass Tante Doro Recht hat. Und es stimmt ja auch: Das Meer ist so riesengroß und so gewaltig und so entspannt dabei. Ich meine, es trägt täglich tonnenschwere Schiffe auf seinem Rücken spazieren, schaukelt Millionen und Abermillionen Fische in seinem Bauch, bereist die halbe Welt, spült jeden Tag Massen von Sand an Land und macht kein Drama daraus. Und wir – wir vertrödeln unser bisschen Energie mit ein paar Worten und mit dem, der sie uns gesagt hat. Das muss man sich mal vorstellen!
    Das letzte Mal bin ich den Weg zum Strand vor einem guten halben Jahr an Silvester mit Isa gegangen. Das letzte Mal war er noch ein sandiger Trampelpfad. Aus dem Trampelpfad ist ein asphaltierter Weg geworden.
    Ich weiche einem alten Mann mit Hund aus, der mich ansieht, als sei ich frisch vom Mond gefallen. Vermutlich fragt er sich, was ich um diese Uhrzeit ohne Hund auf der Straße verloren habe. Leute unter siebzig sind in Rethwisch ohnehin ein eher seltener Anblick. Und erst recht Leute unter siebzig, die noch vor Sonnenaufgang ans Meer rennen.
    Ich umrunde den alten Mann und seinen gelben wurstförmigen Hund und steuere geradewegs auf den Strand zu. Ich spüre die Blicke des Mannes noch in meinem Rücken, aber ich tue ihm nicht den Gefallen, mich noch einmal umzudrehen.
    Wo noch vor ein paar Monaten die kleine Imbissbude war, steht jetzt das »Strandcafé Seeblick«, und die alte verfallene Villa bei den Dünen, in der Isa und ich im Winter noch herumgeklettert sind, ist von Bauzäunen umstellt und mit Plakaten verhängt, auf denen zu lesen ist, dass hier jetzt ein Hotel entsteht. Vielleicht sollte ich mir auch so ein Plakat umhängen: Achtung, Baustelle!
    Ich kann den Moment kaum erwarten, in dem das hohe Gras sich teilt und den Blick auf das Wasser freigibt. Der weiße feine Sand sickert mir schon in die Turnschuhe und ich muss sie sofort ausziehen. Das ist eine Art Ritual. Das ist, als würde man heiligen Boden betreten. Außerdem ist es so schön zu spüren, wie die nackten Füße im kühlen weichen Sand versinken.
    Ich klettere die Düne hinauf
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