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Zwei Seiten

Zwei Seiten

Titel: Zwei Seiten
Autoren: Alison Grey
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angekommen, da hatte ich auch schon das Bad gestürmt, um eine lange Dusche zu nehmen. Als ich in den Flur trat, war meine Freundin nirgendwo zu sehen. »Julia?«
    Stille.
    Ich lugte ins Wohnzimmer. Da war sie nicht. Küche? Da auch nicht. Schließlich schaute ich in ihr Zimmer.
    Und da war Julia. Voll bekleidet und im Ärztekittel lag sie quer auf dem Bett und schnarchte leise vor sich hin. Offensichtlich hatte ihr der viele Alkohol, den wir heute Abend auf der Karnevalsfeier getrunken hatten, ganz schön zugesetzt.
    Ich ging in den lediglich vom Flurlicht erleuchteten Raum und setzte mich neben sie. Vorsichtig streichelte ich Julias weiches Haar. Irgendwie wollte ich gar nicht, dass sie aufwachte. Es war viel zu schön, sie unbekümmert berühren zu können. Aber so konnte Julia nicht liegen bleiben. Vorsichtig ergriff ich das Stethoskop, das immer noch um ihren Hals hing, und zog es weg. Dabei spürte ich ihre warme, weiche Haut unter meinen Fingerspitzen. Ich streifte Julias Schuhe ab und zog anschließend mit etwas Mühe die Decke unter ihr hervor.
    Sie zeigte keine Reaktion.
    Ich legte mich neben Julia, kuschelte mich an sie und deckte uns zu. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, war ich auch schon eingeschlafen.
    * * *
    Wärme. Geborgenheit. Mein Körper war vollkommen entspannt. Ich atmete tief ein und Julias Geruch umhüllte mich wie eine kuschelige Decke. Stopp mal. Ich öffnete ein Auge und sah eine Brust. Eine Brust? Oh Gott, ich lag auf Julia. Meine Beine zwischen ihren. Wie hatte ich bloß wieder mit Julia zusammen einschlafen können? Und wie konnte sich ihr Körper so verdammt gut anfühlen?
    Ich schloss kurz die Augen. Das sollte nicht passieren. Es war schon alles kompliziert genug. Vorsichtig, damit ich Julia nicht aufweckte, rollte ich von ihr runter. Danach verließ ich das Bett und flüchtete in mein Zimmer.
    Mein eigenes Bett war kalt. Ich legte mich unter die Decke und starrte nach oben. Es war eine Sache, Julia attraktiv zu finden und ihr nah sein zu wollen, aber im Schlaf, wenn ich nicht dachte, mich nicht unter Kontrolle hatte, ging ich zu weit. Das konnte so nicht weitergehen. Ich wollte das nicht. Was sollte ich bloß tun? Wenn ich dem Ganzen nicht schnell ein Ende setzte, würde bald mehr passieren. Und das durfte nicht sein. Ich könnte damit niemals umgehen. Es wurde Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
    Ich zog mich im Bad an und flüchtete in den Stadtpark, um in Ruhe über alles nachzudenken. Es war ein relativ warmer Märzmorgen, und dennoch fröstelte es mich nach einer Weile. Warum konnte ich nicht nur rein freundschaftliche Gefühle für Julia haben? Es war doch alles so schön mit ihr. Warum wollte ich mehr? War ich in Wahrheit gar nicht heterosexuell? Sicher, die Psychologin hatte ihre Meinung gesagt, und ja, es bestand kein Zweifel mehr daran, ich hatte mich in Julia verliebt, aber … hieß das automatisch, ich war … bisexuell? Ich hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie in einen Mann verliebt. Bedeutete das also, ich war … lesbisch? War Mama lesbisch, weil sie eine Frau geliebt hatte?
    Verdammt, warum musste immer alles so kompliziert sein? Was war richtig und was falsch? Man konnte sich seine sexuelle Orientierung nicht aussuchen. Entscheidend war, was man daraus machte. Oder?
    Ich schüttelte den Kopf. Ich würde das Richtige tun. Jetzt, wo ich wusste, dass ich mich wahrscheinlich nie in einen Mann verlieben würde, wäre es doch viel einfacher, eine Beziehung ohne Erwartungen zu beginnen. Ich schloss die Augen. Doch was, wenn ich so unglücklich wie Mama werden würde? Andererseits war es nicht ihre Entscheidung gewesen, meinen Vater zu heiraten. Nicht wirklich. Sie liebte eine Frau über Jahre und war bereits weiter mit ihr gegangen, als ich jemals auch nur in Gedanken mit Julia. Vielleicht war es genau jetzt der richtige Moment, dem Ganzen ein Ende zu setzen, bevor ich Gefangene meiner Gefühle wurde, wie Mama es gewesen war. Ja, ich hatte immer noch die Chance, mit einem Mann zumindest halbwegs glücklich zu werden, wenn ich meiner Neigung nicht folgen würde.
    Ich sank auf eine Parkbank. Tränen strömten über mein Gesicht. Ich musste es beenden. Jetzt. Bevor es zu spät war.
    * * *
    Es war schon früher Nachmittag, als ich nach Hause zurückkehrte.
    Julia kam aus dem Wohnzimmer und eilte auf mich zu. »Ist alles in Ordnung? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.« Sie trug ihre Lieblingsjeans und ihren roten »Is‘ was, Doc?«-Sweater.
    Es fiel mir schwer,
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