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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern
Autoren: Adalbert Stifter
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aber werde ihn ertragen. Sie ist so gut, so gut und unschuldig, daß sie das höchste Glük auf Erden verdient. Ihr Gemüth ist so zart geartet, daß sie alle Eindrüke aufnimmt und fest hält. Sie würde den Schmerz im Herzen halten, bis es bräche. Sie hat ohnedem dieses Herz durch das Spiel ihrer Geige, das so schön ist, und das uns so erfreut, noch mehr gelokert, daß alles Uebel viel viel tiefer eingreift.«
    Nach diesen Worten fuhr sie sich noch einmal mit dem Tuche über die Augen, um Alles völlig abzutroknen. Ich gab ihr den Arm und führte sie in dem Garten herum. Sie sammelte sich nach und nach gänzlich. Wir sprachen ernsthaft und freundlich miteinander, und gingen noch lange herum, bis wir uns trennten.
    Ich ging hierauf in meine Zimmer, legte die Stirne an das Glas eines Fensters, und es traten mir die Thränen des Mitleides in die Augen.
    Ich nahm nach einer Weile das Buch, das ich mir in Tirol zusammen geheftet hatte, um Wirthschaftsgegenstände einzuschreiben, und schrieb diese Begebenheit hinein.
    Ich schrieb bis tief gegen den Abend.
    Am Abende kamen wir wieder Alle, wie gewöhnlich, zusammen, und es waren Gespräche von fernen auf die gegenwärtige Lage keinen Bezug habenden Dingen.
    Obwohl nun meine Zeit, die ich noch zugegeben hatte, vorüber war, so wollte ich doch in diesem Augenblike nicht fort reisen, weil es geschienen hätte, als nähme ich jezt die Flucht, wo in die Familie etwas Drükendes eingetreten sei. Ich blieb noch da. Ich ging ein Paar Male zu Alfred hinunter, er ist auch einige Male zu uns herauf gekommen.
    Als sich nach und nach die Spannung und das Gefühl, das in Folge des lezten Ereignisses doch in der Familie entstanden war, gemildert hatte, und wieder der liebe freundliche Umgang war, der vorher statt gehabt hatte, erklärte ich, daß ich jezt reisen müsse, und daß ich keinen Aufschub mehr machen könne. Man versuchte auch keinen zu erzielen, und es wurde der Tag festgesezt.
    Ich ging noch zu Alfred hinunter, um Abschied zu nehmen.
    Ich pakte nach und nach meine Sachen zusammen. Ich war jezt viel reicher, als da ich herauf gekommen war. Man wollte mich überreden, den Weg über Sanct Gustav zu nehmen, aber ich sagte, daß mir der, auf welchem ich gekommen sei, so lieb geworden, daß ich ihn auch auf der Rükreise einschlagen wolle. Nur das wurde jezt nothwendig, daß man mir ein Saumthier geben mußte, was mit den andern, wenn sie die Gartenwaaren fort trügen, hinab ginge, und meine Sachen an den See brächte, von wo sie nach Riva kommen könnten - ferner, daß man mir an dem See ein Schiffchen bestellte, das mich nach meinem Gasthofe überführte. Beides wurde in das Werk gesezt.
    Als der Tag der Abreise gekommen war, wollten sie mich eine Streke begleiten. Ich verbat es mir aber und gestand nur zu, daß sie mit mir bis an die Grenze des Gartens gehen dürften. Ein längeres Begleiten sei doch nur ein längerer und schmerzlicherer Abschied.
    In dem Gefunkel einer schönen Morgensonne gingen wir durch den Garten. An dem Pförtchen der losen Steinmauer angelangt, blieben wir stehen und nahmen Abschied. Die Mutter sagte mir liebe freundschaftliche Worte, die meist dahin gingen, daß ich sie bald wieder besuchen solle, Rikar und ich drükten uns an die Brust, Maria hielt ich einen Augenblik fest an beiden Händen, und Camilla brach in heftige Thränen aus.
    Man wollte doch wieder mit mir gehen, als ich mich zum Weitergehen wendete, aber ich drükte sie mit den Händen in den Garten zurük, wendete mich in tiefer Bewegung um, und ging weiter.
    Sie mochten in den Garten zurükgegangen sein, denn als ich nach einer Weile umsah, sah ich sie nicht mehr. Ich ging in dem Thale fort. Als ich zu dem schwarzen Felsen kam, wo ich die sanfte Camilla zum ersten Male gesehen hatte, war mir unsäglich wehe: ich hätte nicht gedacht, daß ich so schwer von diesem Hause fort gehen würde. Ich sah das todte Bäumchen, das auf dem Felsen stand, eine Weile an, und ging dann weiter. Ich wendete mich, wie es mein Weg vorschrieb, links. Als ich in der verödeten Landschaft weiter schritt, kam ich mir recht einsam und verlassen vor, ich fühlte erst jezt recht lebendig, wie lieb und wie hold es sei, einer Familie anzugehören, dergleichen ich früher nicht gehabt hatte, und jezt auch nicht hatte.
    Ich ging in dem Felsengebiete, das ich rechts und links von mir hatte, fort, und sah beinahe durch zwei Stunden den sonderbaren Bühel des Hieronimus vor mir. Endlich erreichte ich ihn, und da ich ihn
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