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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen
Autoren: Tracy Chevalier
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einem Pudding, der in seiner Form fest geworden war, während ledige Frauen ungeformt und unberechenbar waren.
    Ich klopfte auf meinen Korb. «Vielen Dank, aber ich habe meine eigenen Fossilien. Ich will zu deinem Vater, ist er da?» Mary nickte in Richtung der Stufen, die zu einer offenen Tür hinab führten. Mit eingezogenem Kopf ging ich in einen dunklen, schmutzigen Raum, der von Holz und Steinen überquoll. Sägespäne und sandiger Steinstaub bedeckten den Boden. Es roch so stark nach Lack, dass ich am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht hätte. Doch dazu war es zu spät, denn Richard Anning hatte mich bereits erblickt und nagelte mich mit seiner spitzen, wohlgeformten Nase auf der Stelle fest, als hätte er einen Pfeil durch mich geschossen. Ich habe noch nie Menschen gemocht, die mit der Nase führen: Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf das Zentrum ihres Gesichts, und diese Konzentrierung ruft bei mir eine Art Lähmung hervor.
    Er war ein schlanker Mann, mittelgroß, mit dunklem, dichtem Haar und einem markanten Kinn. Seine Augen waren von der Art Dunkelblau, hinter dem sich etwas zu verbergen scheint. Angesichts seiner groben, herablassenden Art und der manchmal ungehobelten Manieren sollte mir seine Attraktivität ein ständiges Ärgernis bleiben. Leider hatte er sein gutes Aussehen nicht der Tochter vererbt, die mehr damit hätte anfangen können.
    Er arbeitete gerade an einem kleinen Schrank mit Glastüren und hielt einen Lackierpinsel in der Hand. Vom ersten Moment an hegte ich eine heftige Abneigung gegen ihn, denn während ich ihm beschrieb, was ich wollte, hielt er es noch nicht einmal für nötig, den Pinsel wegzulegen, auch meine Sammlung würdigte er keines Blickes. «Eine Guinee», war alles, was Richard Anning zu sagen hatte.
    Es war eine unverschämte Summe für einen Ausstellungskasten. Glaubte er etwa, er könne die Jungfer aus London über den Tisch ziehen? Oder hielt er mich vielleicht für reich? Einen Moment lang starrte ich in sein attraktives Gesicht und überlegte, ob ich auf meinen Bruder warten sollte, damit er bei seinem nächsten Besuch mit Richard Anning verhandelte. Aber das konnte noch Monate dauern, außerdem wollte ich nicht wegen jeder Kleinigkeit meinen Bruder belästigen. Ich würde mich in Lyme durchsetzen müssen, damit sich die Handwerker nicht länger über mich lustig machten.
    Ein Blick in die Werkstatt genügte, um zu wissen, dass Richard Anning den Auftrag brauchen konnte. Ich beschloss, dies zu meinem Vorteil zu nutzen. «Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie mir einen dermaßen überhöhten Preis nennen», sagte ich, wickelte meine Fossilien in ein Musselintuch und legte sie zurück in den Korb. «Natürlich hätte ich Ihren Namen deutlich sichtbar an dem Kasten angebracht. Jeder, der sich meine Sammlung anschaut, hätte ihn gesehen. In diesem Fall aber muss ich mich an jemanden wenden, dessen Preise realistischer sind.»
    « Die wollen Sie ausstellen?» Richard Anning machte eine Kopfbewegung zu meinem Korb hin. Seine Ungläubigkeit entschied die Sache endgültig: Eher würde ich mir jemanden in Axminster, wenn nötig sogar in Exeter suchen, als diesem Mann einen Auftrag zu erteilen. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Nie wieder.
    «Guten Tag, Sir», sagte ich schnippisch und machte auf dem Absatz kehrt. Ich wollte die Treppe hinaufrauschen, doch Mary verdarb mir meinen dramatischen Abgang. Sie stand mitten in der Tür und versperrte mir den Weg. «Was für Kuris haben Sie denn?», fragte sie. Ihre Augen ruhten auf meinem Korb.
    «Wohl kaum etwas, das dich interessieren dürfte», zischte ich, drückte mich an ihr vorbei und lief auf den Platz hinaus. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil mich der Tonfall von Richard Anning so verletzt hatte. Was kümmerte mich die Meinung eines Möbeltischlers? Für einen Neuling auf dem Gebiet der Fossilien fand ich meine kleine Sammlung wirklich recht ansehnlich. Ich hatte bereits einen intakten Ammoniten gefunden und mehrere in Einzelteilen, außerdem einen pfeilförmigen Belemniten, dessen dünne Spitze nicht wie bei den meisten Exemplaren abgebrochen, sondern völlig unversehrt war. Doch noch während ich wütend am Tisch der Annings vorbeistürmte, erkannte ich, dass ihre Fossilien schöner und vielfältiger als meine eigenen waren. Alle Fundstücke waren intakt, gereinigt und sortiert. Und es waren wirklich viele. Auf Marys Tisch lagen Exemplare ausgestellt, von denen ich noch nicht einmal gewusst hatte,
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