Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)
Autoren: Filomena Nina Ribi
Vom Netzwerk:
geistige Unterhaltung zuständig: Jeden Nachmittag um 16 Uhr bereitete sie Kaffee und Tee vor und las dann im gemeinsamen Wohnzimmer eine Geschichte vor. Im selben Häuser-Komplex befand sich außerdem auch ein Wohnhaus mit Wohnungen für Familien mit Kindern, die im gemeinsamen Garten und zu bestimmten Uhrzeiten auch im Altenheim-Gebäude willkommen waren.
    „Du, Fiona, das hätte ich fast vergessen, dir mitzuteilen“, platzte Giacomo heraus.
    „Was?“
    „Dieses Ehepaar, das euer Haus gekauft hat …“
    „Ja, ich erinnere mich gut an sie.“
    „Sie haben sich scheiden lassen. Und das Paar, das später einzog, hat sich ebenfalls getrennt.“
    „Das ist ja unheimlich!“, rief Serena aus.
    „Ja, tatsächlich – beunruhigend!“, meinte Fiona. „Ich bin nie wieder dorthin gegangen. Ich hätte Mühe damit, denke ich: Alte vergessene Erinnerungen würden sofort hochkommen. Was ist denn jetzt aus dem Haus und dem Land geworden?“
    „Ein Erdrutsch hat das Haus beschädigt und Teile vom Land sind das Tobel hinuntergerutscht, nachdem ein heftiges Gewitter mit Platzregen getobt hatte.“
    „Das Haus war verflucht!“, meinte Fiona bestimmt. „Oh! Und was ist mit dem roten Ahorn, den ich von meinem Vater geerbt hatte?“
    „Der ist noch da! Er steht in der einzigen Ecke, die verschont wurde …“, antwortete Giacomo.
    Seit Fiona das letzte Mal in der Zwischenwelt gewesen war, waren viele Jahre vergangen. Damals hatte sie mit ihrem Schicksal gehadert, weil ihr Vater unerwartet gestorben war. Dann hatte sie eines Nachts von der Zwischenwelt geträumt, wo sie ihn wiedertraf, sich mit ihm versöhnte und danach in aller Ruhe Abschied nehmen konnte. Anschließend hatte sie nie wieder davon geträumt. Durch die aktive und ruhelose Zeit der Mutterschaft hatte sie ihre besonderen Träume dann vollkommen vergessen und sich morgens auch nicht mehr an Träume erinnern können.
    Die Trauer um ihren Vater hatte sie inzwischen überwunden – oder zumindest einigermaßen gut verdrängt. Sie ließ die traurigen Gefühle nur noch hin und wieder aufkommen – und vor allem angemessen dosiert. Manchmal aber erinnerte sie Vidya ohne Vorwarnung daran, denn Vidyas Charakter – insbesondere ihr Kampfgeist – erinnerte Fiona stark an ihren eigenen Vater. Manchmal waren es einfach nur Parallelen, die verletzte Gefühle hochkommen ließen.
    Einmal hatte sich Fiona neben Vidya gelegt. Es war Mittag und Vidya, damals dreijährig, war vollkommen aufgedreht, weil sie am Morgen im Stadtzentrum gewesen war und mit den vielen Eindrücken nicht klarkam. Obwohl das Kind todmüde war, konnte es nicht einschlafen; es strampelte und zuckte wie verrückt – genau wie Fiona selbst und genau wie Ernst, Fionas Vater. Alle drei Generationen waren ähnlich. „Restless legs Syndrom“ hatte Ernst, Fionas Vater, einmal dazu gesagt. Das Zimmer war abgedunkelt, nur die aufgeklebten Sterne und Planeten bildeten ein helles Universum an der Decke des Zimmers. Vidya fragte, wo Henry sei, ihr Papa, und schlief dann prompt ein.
    „Henry …“, dachte Fiona. „Ich habe meinen Vater auch mit Vornamen ‚Ernst‘ genannt und nicht ‚Papa‘.“
    So war sie plötzlich wiedergekommen, die Trauer, und hatte Fiona in der Dunkelheit des Zimmers überrollt, wo sie nichts davon ablenken konnte. Eine anscheinend kleine Banalität – „Henry“ anstatt „Papa“ – und sofort benutzten die verdrängten Gefühle das Ventil, um sich einen Weg in die Außenwelt zu schaffen. Eine Träne war Fiona die Wange hinuntergerutscht, dann eine zweite. Als sie kurz nachgerechnet und realisiert hatte, dass ihr Vater nun schon seit so vielen Jahren tot war, flossen die Tränen bereits wie aus einem offenen Wasserhahn. Sie ließ das Gefühl zu und in diesem Moment schien es ihr, als ob es alles erst gestern gewesen sei. Als Fiona den Drang zu schluchzen verspürte, stand sie auf, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich: Vidya sollte sie nicht weinen hören. Sie holte sich ein Taschentuch, ging in die Küche und putzte sich kräftig die Nase. „So! Genug jetzt! Das Leben geht weiter!“, hatte sie dann laut zu sich selbst gesagt und angefangen, die Küche zu putzen.
    Fiona konnte mit ihrer Trauer eigentlich ganz gut leben, nur manchmal kamen eben diese alte Erinnerungen wieder hoch – mit der Zeit nicht weniger heftig, sondern nur weniger oft. Das empfand sie bereits als Heilung. Diese Momente, in denen die Trauer wieder hochkam, erschreckten sie aber, denn die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher