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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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Sie, die auch kleinste Unwahrheiten mit dem Rohrstock geahndet hatte, war eine pathologische Lügnerin.
    Nach meiner Entlassung hatte ich mich nicht bei ihr gemeldet. Auch sie hatte bisher nicht mit mir Kontakt aufgenommen. Vielleicht wusste sie es gar nicht. Vielleicht schämte sie sich, weil sie vor mir geweint hatte, sich vor mir offenbart hatte als ungehorsame Tochter, als böses Mädchen, als jemand, der das Gesetz gebrochen oder immerhin gebeugt hatte, als Mutter eines Kuckuckskinds – und das auch noch im Besucherzimmer eines Gefängnisses.
    Nur mit einer Hose bekleidet, stand ich auf dem Balkon meines Leuchtturmzimmers und blickte auf die Großstadtlichter, die in der Dämmerung immer heller leuchteten. Müller war tot, aber in Rizzwürde es niemals Nacht werden. Der Schwarze Bunker reckte sich vor mir hoch, aber seine Silhouette verlor sich in hilfloser Drohgebärde. Was konnte mir noch Angst machen? Ich betrachtete mein frisch gestochenes Knasttattoo im Spiegel, fand es wunderschön, wühlte, einer sentimentalen Anwandlung folgend, die stinkende Jeansweste heraus, die mir Gonzo zum Abschied geschenkt hatte, zog sie an und machte mich auf den Weg zu Big Ben.
    Big Ben öffnete selbst und erkannte mich erst nicht. Mit gebräunten, muskulösen Oberarmen, in offener Jeansweste, aus der mein Tattoo blitzte, mit Dreitagebart und halblangen, zerwühlten Haaren stand ich vor ihm wie der Marlboro-Mann. Als er mich erkannte, lachte er. Er lachte mich tatsächlich aus.
    »Ja, so was, der Michi! Ist Fasching, oder was soll die Maskerade?«
    »Was heißt hier Maskerade, ich bin jetzt ein Mann.«
    »Ach so, na dann komm mal rein, du – Mann!« Er packte mich am Nacken und schüttelte mich.
    Big Ben trug einen Hausanzug mit goldenen Schulterstücken, wie er Gaddafi gefallen hätte. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, nickte versonnen und trat, seine Pfeife schmauchend, zur Seite, um mich einzulassen. Die Windspiele sprangen an mir hoch, aber ich ignorierte sie.
    »Onkel Ben, ich denke, es gibt einiges zu besprechen.«
    Er betrachtete mich immer noch. »Ich weiß nicht, irgendwas stimmt nicht.«
    »Was stimmt nicht?«
    »Irgendwas haut nicht hin mit deiner nagelneuen Männlichkeit. Du siehst aus wie verkleidet.«
    Beklommen dachte ich, dass er recht hatte. Fast schämte ich mich für meinen Aufzug. Man kann solche Dinge ja schließlich nicht übers Knie brechen.
    »Bist du jetzt trocken hinter den Ohren?«, fragte Big Ben.
    »Ja!«
    »Hast du jetzt Haare am Sack?«
    »Mehr als genug!«
    »Das ist gut, hahaha. Der Rest kommt von alleine. Aber so, Junge, so kannst du nicht rumlaufen.«
    Big Ben nahm einen roten Samtfrack von seinem Garderobenständer und lachte dröhnend in der Klangkuppel seiner Diele. »Hier, zieh den an, der Cellist braucht ihn ja jetzt nicht mehr.«
    Ich zog den roten Samtfrack über die Jeansweste des Boxers. Mir hatte er sowieso besser gestanden als Béla Schlosser.
    »Ich bin hergekommen ...«
    »Behalt dein Wort! Es gibt erst etwas, was ich dir zu sagen habe.«
    Hinter Big Ben trat eine Gestalt aus dem Halbdunkel der Diele. Es war Mutter. Sie sah anders aus. Ihre sonst immer zum Dutt geschnürten kastanienbraunen Haare waren offen, zu einer Schichtfrisur umgefärbt und in einer kühnen Welle nach außen gelegt. Sie trug ein ärmelloses schwarzes Kleid mit weißen Biesen. Eleganz ging von ihr aus, aber auch etwas anderes, etwas Neues: Sinnlichkeit.
    »Mutter!«
    Ich trat einige Schritte nach vorn und ergriff ihre kleine Hand, die sich weicher und wärmer anfühlte als sonst.
    Sie ließ mir die Hand, sagte aber nichts.
    »Lasst uns in den Salon gehen«, sagte Big Ben.
    Wir traten ins Schummerlicht des Salons, die Abendsonnenstrahlen fielen durch die heruntergelassenen Jalousien und hinterließen Schattenstreifen auf unseren Gesichtern. Wir nahmen in braunen Samtsesseln Platz, aus denen kleine Staubwölkchen aufflogen.
    »Deine Mutter und ich«, begann Big Ben, »Mona und ich, wir haben uns damals etwas geschworen. Wenn wir in fünfundzwanzig Jahren frei sind und uns noch lieben, dann werden wir zusammenziehen.«

GENESIS BIG BEN
    Ben Kuppe ist der jüngste von fünf Söhnen verarmter Bauern. Weil er dem Vater auf dem Acker und in den Ställen zur Hand gehen muss, hat er keinen Schulabschluss. Mit sechzehn verliebt er sich in Mona, ein gleichaltriges Mädchen aus gutem Hause, sie liebt ihn zurück. Sie knutschen in Kinos, in Schweineställen, im Dickicht ihrer Dörfer. Sie träumen davon, gemeinsam
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