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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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drehte dem armen Kleinen nicht den Hals um. Stattdessen riss sie ihn von seinem Stühlchen, quetschte ihn an ihr Gesicht, schmatzte ihn ab und tanzte übermütig mit ihm durchs Zimmer. Jims war froh, als sie wieder zu sich kam und ihn anständig fertig fütterte, um ihn anschließend mit seinem Lieblingsschlummerlied ins Bett zu stecken. Den Rest des Nachmittags nähte sie Hemden fürs Rote Kreuz und baute ein kristallenes Luftschloss in den Farben des Regenbogens. Ken wollte sie sehen. Sie ganz allein! Nichts leichter als das. Shirley würde sie nicht stören, Vater und Mutter wollten zum Pfarrhaus gehen, Miss Oliver hatte noch nie den Anstandswauwau gespielt und Jims schlief rund um die Uhr von sieben bis sieben. Sie würde Ken auf der Veranda empfangen, bei Mondschein. Und sie würde ihr weißes Seidenkleid tragen und ihr Haar hochstecken - jawohl, das würde sie! - oder es wenigstens im Nacken zu einem Knoten zusammenstecken. Dagegen hätte Mutter ganz sicher nichts einzuwenden. Oh, wie wunderbar und romantisch würde das werden! Ob Ken ihr etwas Besonderes sagen wollte? Bestimmt hatte er vor, etwas zu sagen, sonst wäre er doch nicht so darauf aus, sie allein zu treffen! Aber wenn es nun regnete? Susan hatte sich doch heute Morgen noch so über Mr Hyde beklagt! Oder wenn plötzlich irgendwelche diensteifrigen Rotkreuzler auftauchten, um mit ihr über Belgier und Hemden zu beratschlagen? Oder nicht auszudenken - wenn auf einmal Fred Arnold hereinschneite? Das kam immerhin ab und zu vor.
    Schließlich wurde es Abend und alles lief wie am Schnürchen. Gilbert und Anne gingen zum Pfarrhaus, Shirley und Miss Oliver verschwanden wer weiß wohin, Susan ging einkaufen und Jims entschlummerte ins Land der Träume. Rilla zog ihr Seidenkleid an, band ihr Haar zu einem Knoten zusammen und schmückte ihn mit einer zweireihigen Perlenkette. Dann steckte sie sich einen kleinen Strauß winziger rosaroter Rosen an den Gürtel. Ob Ken sie um eine Rose als Andenken bitten würde? Sie wusste, dass Jem eine verblasste Rose zu den Schützengräben nach Flandern mitgenommen hatte, die ihm Faith Meredith, versehen mit einem Kuss, am Abend vor dem Abschied geschenkt hatte.
    Rilla sah wirklich süß aus, als sie Ken auf der großen Veranda unter der mondbeschienenen Weinlaube begrüßte. Ihre Hand allerdings fühlte sich kalt an, und vor lauter Sorge, sie könnte wieder anfangen zu lispeln, klang ihre Begrüßung steif und geziert. Wie stattlich Kenneth in seiner Leutnantuniform aussah! Er sah darin gleich viel älter aus, sodass Rilla sich plötzlich ziemlich albern vorkam. Wie konnte sie sich nur einbilden, dieser strahlende Offizier hätte ausgerechnet ihr etwas Wichtiges zu sagen, ihr, der kleinen Rilla Blythe von Gien St. Mary! Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht richtig verstanden. Er hatte wohl nur gemeint, dass er nicht solche Menschenmassen um sich haben wollte, die weiß Gott für einen Wirbel um ihn gemacht hätten, wie er es wahrscheinlich drüben in Overharbour erlebt hatte. Ja, natürlich, das war es, was er gemeint hatte. Und sie, verrückt wie sie war, hatte sich eingeredet, er wolle niemanden sehen außer ihr. Jetzt würde er bestimmt denken, sie hätte alle anderen fortgescheucht, damit sie allein sein könnten, und sie insgeheim auslachen!
    »Na, so ein Glück, wer hätte das gedacht« sagte Ken, lehnte sich in einem Sessel zurück und blickte sie mit unverhohlener Bewunderung aus seinen ausdrucksvollen Augen an. »Ich war sicher, dass irgendwer hier herumhängt, und dabei wollte ich doch nur dich sehen, Rilla-meine-Rilla.«
    Rillas Traumschloss tauchte schlagartig wieder in der Landschaft auf. Das war jetzt wirklich unmissverständlich. Da musste man nicht herumrätseln, was er wohl meinte.
    »Es treiben sich eben nicht mehr so viele von uns hier herum wie früher mal«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    »Sieht so aus«, sagte Ken. »Jem und Walter und die Mädchen sind weg. Da bleibt eine ganz schöne Lücke, wie? Aber« - und er beugte sich vor, bis seine dunklen Locken beinah ihr Haar streiften - »Fred Arnold versucht doch hin und wieder diese Lücke zu füllen, habe ich Recht? Jedenfalls hat mir das jemand erzählt.«
    Noch ehe Rilla antworten konnte, fing plötzlich Jims lauthals an zu schreien. Sein Geschrei drang aus dem offenen Fenster direkt über ihnen. Dabei kam es so gut wie nie vor, dassjims abends aufwachte und schrie! Noch dazu schrie er mit einer solchen Energie, dass Rilla schon ahnte, dass er bereits
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