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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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von »moralischer Überzeugungskraft, aber ich finde, eine ordentliche Tracht Prügel ist viel besser und auch viel wirkungsvoller.«
    Rilla ärgerte sich langsam und fragte sich, ob Susan wohl vorhatte, ihnen sämtliche Prügelgeschichten aus der Familie aufzutischen. Aber Susan hatte das Thema nun abgehakt und holte zur nächsten Episode aus.
    »Ich weiß noch, wie der kleine Tod MacAllister aus Overharbour sich auf genau dieselbe Weise umgebracht hat, nämlich indem er eine ganze Schachtel Dragees gegessen hat, weil er dachte, es wären Bonbons. Das war eine traurige Geschichte. Er war«, sagte Susan ganz im Emst, »der niedlichste kleine Leichnam, den ich je gesehen habe. Es war sehr nachlässig von seiner Mutter, die Dragees da hinzulegen, wo er an sie herankam, aber sie war auch für ihren Leichtsinn bekannt.
    Einmal fand sie auf den Feldern ein Nest mit fünf Eiern, als sie in ihrem nagelneuen blauen Seidenkleid auf dem Weg zur Kirche war. Sie steckte die Eier in die Tasche ihres Petticoats und in der Kirche dachte sie nicht mehr daran und setzte sich drauf. Ihr Kleid war natürlich dahin, von ihrem Petticoat ganz zu schweigen. Warte mal, bist du nicht ein Verwandter von Tod? Deine Urgroßmutter West war doch eine MacAllister. Aber eigentlich siehst du mehr deinem Urgroßvater West ähnlich als den MacAllisters. Er ist übrigens schon früh an einem Schlaganfall gestorben.«
    »Hast du jemanden beim Einkäufen getroffen?«, fragte Rilla, der Verzweiflung nahe und in der vagen Hoffnung, Susans Konversation in erfreulichere Kanäle zu lenken.
    »Nur Mary Vance«, sagte Susan. »Und die ist herumgehüpft wie ein Floh auf dem Kopf eines Iren.«
    Dass Susan aber auch immer so schreckliche Vergleiche anstellen musste! Womöglich dachte Kenneth noch, sie hätte das von der Familie gelernt!
    »Wenn man Mary so über Miller Douglas reden hört, könnte man meinen, er wäre der einzigejunge aus Gien, der sich freiwillig gemeldet hat«, fuhr Susan fort. »Aber schließlich musste sie ja schon immer angeben. Sie hat auch ein paar gute Eigenschaften, das gebe ich zu, obwohl ich damals anderer Meinung war, als sie Rilla mit dem getrockneten Dorsch durchs ganze Dorf gejagt hat, bis das arme Kind kopfüber in die Pfütze vor Carter Flaggs Laden fiel.«
    Rilla schämte sich zutiefst. Gleichzeitig packte sie der Zorn. Gab es etwa noch mehr von diesen demütigenden Geschichten aus ihrer Vergangenheit, die Susan jetzt ins Feld führen wollte? Was Ken betraf, so hätte er sich über Susans Reden totlachen können, aber er wollte sie nicht beleidigen. So machte er ein unnatürlich ernstes Gesicht, und die arme Rilla dachte, er wäre gekränkt.
    »Heute habe ich für eine Flasche Tinte elf Cent bezahlt«, beklagte sich Susan. »Tinte kostet jetzt das Doppelte wie im letzten Jahr. Vielleicht kommt das daher, weil Woodrow Wilson so viel für seine Berichte verbraucht hat. Das muss ja Unsummen kosten. Meine Cousine Sophia sagt, Wodrow Wilson sei nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hat, aber welcher Mann ist das schon. Ich als alte Jungfer habe sowieso nicht viel Ahnung von Männern und habe das auch nie behauptet, aber meine Cousine Sophia ist sehr streng mit ihnen, obwohl sie zwei davon geheiratet hat, und damit ist sie doch wohl nicht zu kurz gekommen. Albert Crawfords Schornstein ist bei dem Sturm letzte Woche umgeblasen worden, und als Sophia die Ziegel aufs Dach poltern hörte, dachte sie, es wäre ein Zeppelinangriff, und bekam einen hysterischen Anfall. Mrs Albert Crawford sagt, ihr wäre der Zeppelinangriff lieber gewesen.«
    Rilla saß schlaff und wie hypnotisiert in ihrem Sessel. Sie wusste, Susan würde erst aufhören zu reden, wenn ihr der Sinn danach stand, und keinen Augenblick eher. Normalerweise konnte Rilla Susan gut leiden, aber jetzt hätte sie sie umbringen können. Es war mittlerweile zehn Uhr. Ken würde bald gehen müssen, und die anderen würden auch bald nach Hause kommen, und sie hatte noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, Ken zu erklären, dass Fred Arnold keine Lücke in ihrem Leben ausfüllte und auch nie ausfüllen würde. Ihr Regenbogenschloss zerfiel in einen Trümmerhaufen.
    Kenneth stand schließlich auf. Er hatte begriffen, dass Susan wohl die ganze Zeit hier sitzen bleiben würde, und bis zu Martin West drüben in Overharbour waren es drei Meilen Fußweg. Er fragte sich, ob Rilla Susan vielleicht zu alldem angestiftet hatte, weil sie nicht mit ihm allein sein wollte. Vielleicht hatte sie Angst,
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