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Zuflucht Im Kloster

Zuflucht Im Kloster

Titel: Zuflucht Im Kloster
Autoren: Ellis Peters
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zerschundenes Gesicht zu, das von Blut und Schweiß und dem Schleim, der ihm aus der Nase rann, verschmiert war. Er schien von Sekunde zu Sekunde jünger und schmächtiger zu werden. Wenn aus seinen Augen nicht Verzweiflung und das nackte Entsetzen über die blutrünstige Meute gesprochen hätte, der er noch gerade rechtzeitig entkommen war, hätte man ihn für einen armseligen Jüngling aus der Klostersiedlung halten können, der von einem Dutzend oder mehr seiner launischen Genossen wegen einer kleineren Übertretung bestraft und heulend im Straßengraben liegengelassen worden war.
    Einem so harmlosen Burschen waren ein Raub und ein Mord eigentlich gar nicht zuzutrauen. Er war etwa so groß wie Cadfael, der von eher kleiner Statur war, aber was die Breite seiner Schultern betraf, so hätte man aus Cadfael drei von ihm machen können. Sein Wams und seine Hose waren fadenscheinig und geflickt und wiesen jetzt, da mehrere kräftige Männer mit Fäusten und Fußtritten über ihn hergefallen waren, neue Risse auf. Ursprünglich waren seine Kleider leuchtend rot und blau gewesen, aber inzwischen waren sie durch langen Gebrauch abgetragen und schmutzig. Er wirkte nicht schwächlich, und bei regelmäßiger Ernährung wäre ein stattlicher Mann aus ihm geworden, aber als er sie jetzt ansah, schien er nur aus schlaksigen Gliedern und spitzen Knien und Ellenbogen zu bestehen, die durch seine Magerkeit noch mehr hervorstachen. Cadfael schätzte ihn auf siebzehn oder achtzehn Jahre. Er sah den Abt und Cadfael flehend an, und obwohl sein Blick unstet war und seine Augen, von denen eines zugeschwollen war, tief in den Höhlen lagen, konnte man im Schein der Kerzen erkennen, daß sie leuchtend blau wie Immergrünblüten waren.
    »Mein Sohn«, sagte Radulfus mit kühler Zurückhaltung, denn selbst ein so junger, schmächtiger Bursche mochte ein Mörder sein, »du hast gehört, wessen dich die Männer, die dir nach dem Leben trachteten, beschuldigt haben. Du hast deinen Körper und deine Seele unter den Schutz der Kirche gestellt, und ich und alle anderen hier werden dein Recht auf Asyl verteidigen. Darauf kannst du dich verlassen. Für den Augenblick kann ich dir nur einen Weg zur Gnade anbieten, und ich stelle dir jetzt nur eine einzige Frage. Wie auch immer die Antwort ist – du wirst hier sicher sein, solange dein Recht auf Asyl währt. Das verspreche ich dir.«
    Der Jüngling kniete nieder und sah den Abt schweigend an, als sei auch er einer, der es auf sein Leben abgesehen hatte.
    »Was hast du zu deiner Beschuldigung zu sagen?« fragte Radulfus. »Hast du heute einen Raub und einen Mord begangen?«
    Unter Schmerzen öffnete der Jüngling seine aufgesprungenen Lippen und beteuerte mit einer hohen, mißtrauischen Stimme, die wie die eines verängstigten Kindes klang: »Nein, Ehrwürdiger Vater, ich schwöre, daß ich kein Verbrechen begangen habe!«
    »Steh auf«, sagte der Abt, und seine Stimme verriet weder Vertrauen noch ein endgültiges Urteil. »Tritt näher und leg deine Hand auf das Kästchen, das auf dem Altar steht. Weißt du, was es enthält? Hier ruhen die Gebeine des Heiligen Elerius, des Freundes und Lehrers der Heiligen Winifred. Denk nach und schwöre noch einmal, bei diesen heiligen Reliquien, damit Gott dein Zeuge sei: Bist du dessen, wessen man dich anklagt, schuldig?«
    Ohne zu zögern, und mit der ganzen heißen, verzweifelten Inbrunst, die in diesem schmalen Körper wohnte, rief die helle Stimme: »Das bin ich nicht, so wahr mir Gott helfe! Ich habe nichts Böses getan.«
    Schweigend und nachdenklich sah Radulfus ihn einen endlos scheinenden Augenblick lang an. Jeder, der nichts zu verbergen und den Himmel nicht zu fürchten hatte, würde diese Antwort geben. Aber dasselbe galt auch für einen gottlosen Vagabunden, der seine Haut retten wollte, nicht an den Himmel glaubte und nur die Schrecken dieser Welt fürchtete. Es fiel schwer, ein Urteil zu fällen, und der Abt beschloß, die Angelegenheit für heute auf sich beruhen zu lassen.
    »Nun gut, du hast einen feierlichen Eid geleistet und genießt, ganz gleich, ob du wahr oder falsch gesprochen hast, den Schutz dieses Hauses, wie das Gesetz es vorsieht. Hier hast du Muße, deine Seele zu erforschen.« Er wandte sich Cadfael zu, um mit ihm zu besprechen, was nun am dringendsten erforderlich war. »Ich halte es für das beste, wenn er zunächst in der Kirche bleibt, bis wir uns mit dem Sheriff geeinigt haben.«
    »Das ist auch meine Meinung«, sagte
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