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Zuckermond

Zuckermond

Titel: Zuckermond
Autoren: Astrid Martini
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die Decke bis über den Kopf gezogen und sich einfach nur tot gestellt. Sich tot stellen – das hatte sie als Kind oft getan, wenn sie sich von den Anforderungen des Lebens und dem Ehrgeiz ihrer Eltern überfordert gefühlt hatte. Sich tot stellen bedeutete für Helena, sich einfach nur flach auf den Rücken legen, die Augen schließen und an rein gar nichts denken. Irgendwann, wenn die Gedanken sich verflüchtigt hatten, verschwanden auch die unangenehmen Gefühle und eine herrliche Leere machte sich in ihr breit. Als Kind waren es stets die energischen Stimmen ihrer Eltern gewesen, die sie aus diesem seligen Zustand zurückgeholt hatten. Nun, als Erwachsene, waren es ihre täglichen Pflichten, die sie daran hinderten in diesem Schwebezustand zu verharren. Am heutigen Abend war es sogar eine Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegt hatte. Denn schließlich hatte sie ja niemand zu dieser Ausstellung gezwungen. Im Gegenteil – sie war ein langjähriger Traum von ihr. Sie betrachtete sich im Spiegel und gab ihrem blassen Teint mit etwas Make-up ein frisches Aussehen. Helena war zwar keine klassische Schönheit, aber mit ihrem kupferfarbenem Haar, den rauchgrauen Augen und dem sinnlichen Mund war sie dennoch ein Blickfang. Sie sah interessant aus. Attraktiv und interessant – auch wenn sie sich wesentlich kritischer beurteilte. Kurze Zeit später wühlte sie in ihrem Kleiderschrank nach dem passenden Outfit und entschied sich schließlich für eine dunkelrote, tief ausgeschnittene Bluse mit passendem Rock. Dann machte sie sich auf die Suche nach den passenden Schuhen und Accessoires und war schließlich fertig. Und zwar fix und fertig, denn ihre Nerven flatterten bedenklich.
    ***
    „Verehrte Gäste! Mein Name ist Konstantin Wagner. Ich bin Galerist und gleichzeitig Mitorganisator, beziehungsweise Sponsor für die heutige Ausstellung. Ich begrüße sie recht herzlich und ebenso die Künstlerin Helena Denhoven.“ Er machte eine kleine Kunstpause, dann fuhr er fort: „Für ihr zahlreiches Erscheinen darf ich mich, auch im Namen von Frau Denhoven, recht herzlich bedanken.“
    Mit einer kurzen Verneigung wandte er sich Helena zu. Stolz – aber auch ungeheuer aufgeregt – trat sie an seine Seite und wusste nicht, wo sie hinschauen sollte, als alle Anwesenden zu klatschen begannen. Gott sei Dank fuhr Konstantin in seiner Rede fort, so dass diese kleine Unsicherheit schnell an ihr vorüberging.
    „Frau Denhovens Bilder sind Ausdruck der Liebe zur Malerei. Ihre Arbeiten haben sich aus der Landschaftsmalerei bis hin zur Abstraktion entwickelt und beschreiben eine neuartige Kombination. Ganz zu schweigen von ihrer Portraitmalerei, die sich in den letzten zwei Jahren bis zur Perfektion hin weiterentwickelt hat. Ihr jüngstes Werk – und gleichzeitig auch das Werk, welches ihr am meisten am Herzen liegt – ist ‚Archimedes ’. Ein Machwerk, welches an einer Mischung aus ‚Latin Lover’ und griechischem Gott erinnert. Meine liebe Helena – ist dies etwa das Abbild Ihres Traummannes?“
    Schelmisch zwinkerte er ihr zu und das allgemeine Kichern ließ sie erneut unsicher werden. Doch dann fing sie sich und antwortete keck: „Da es keinen Traummann gibt, darf man sich doch wohl zumindest einen malen oder?“ Nun hatte Helena die Lacher auf ihrer Seite und Konstantin fuhr schmunzelnd, an die Gäste gerichtet, fort: „Ich darf Ihnen jedenfalls versichern, dass Sie heute die Gelegenheit haben werden, die Werke einer ganz besonderen Künstlerin zu begutachten. Die Kombination von Bild, Rahmen und etwaigem Passepartout ergeben eine Einheit, die dem Betrachter nicht nur die Frage nach Gefallen oder Nichtgefallen abverlangt, sondern sie stellt auch den Anspruch des Auseinandersetzens mit dem Detail. Wichtige Elemente bei ihren Bildern sind collagierte Flächen und die Integration von Kohle, Kreide, Öl und Acryl.“ Den letzten Worten von Konstantin konnte Helena nicht mehr folgen, denn sie sah, wie ihre Eltern die Lagerhalle betraten und sich mit kritischen Blicken umsahen. Augenblicklich verspürte sie ein Rauschen in den Ohren und merkte, wie ihre Knie weich wurden. Kathrin und Sabina, die Helenas Eltern ebenfalls erblickt hatten, stellten sich rasch neben sie und gaben ihr mit beruhigenden Worten zu verstehen, dass sie nicht zulassen würden, dass ihr Vater oder ihre Mutter den heutigen Abend eventuell zu verderben gedachten. Helena atmete tief ein, straffte ihre Schultern und blickte ihrem Vater fest in die Augen.
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