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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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an. Wenn Doree nur unbeirrbar zu Lloyd stand, dann würde alles gut sein.
     
    Nach und nach wurde es schlimmer. Keine direkten Verbote, aber mehr Kritik. Dann stellte Lloyd die Theorie auf, dass Maggie an den Allergien und dem Asthma ihrer Jungen schuld sei. Es lag oft an der Mutter, sagte er. Er hatte das ständig im Krankenhaus gesehen. Die überängstliche, meistens überschlaue Mutter.
    »Manchmal werden Kinder eben einfach mit was geboren«, sagte Doree unklugerweise. »Du kannst nicht sagen, dass es jedes Mal an der Mutter liegt.«
    »Ach? Und warum kann ich das nicht sagen?«
    »Ich habe nicht
dich
gemeint. Ich meine, man kann das nicht sagen. Ich meine, sie können doch mit so was geboren werden?«
    »Seit wann bist du solch eine medizinische Kapazität?«
    »Hab ich doch gar nicht behauptet.«
    »Nein. Bist du auch nicht.«
    Dann noch schlimmer. Er wollte wissen, worüber sie beide redeten, sie und Maggie.
    »Weiß ich nicht. Eigentlich über nichts.«
    »Komisch. Zwei Frauen zusammen im Auto. Die über nichts reden. Hör ich zum ersten Mal. Sie ist darauf aus, uns auseinanderzubringen.«
    »Wer? Maggie?«
    »Ich habe Erfahrungen mit der Sorte Frauen.«
    »Mit welcher Sorte?«
    »Mit ihrer Sorte.«
    »Sei nicht dumm.«
    »Vorsicht. Nenn mich nicht dumm.«
    »Warum sollte sie das tun?«
    »Wie soll ich das wissen? Sie will es einfach. Wart’s ab. Du wirst sehen. Sie wird dich dazu bringen, dass du heulend rüberrennst und ihr vorjammerst, was für ein Mistkerl ich bin. Über kurz oder lang.«
     
    Und tatsächlich kam es so, wie er gesagt hatte. Zumindest hätte es für Lloyd so ausgesehen. Sie fand sich wirklich eines Abends gegen zehn in Maggies Küche wieder, schniefend und Kräutertee trinkend. Maggies Mann hatte gesagt: »Verdammt, wer ist das denn?«, als sie klopfte – sie hörte ihn durch die Tür. Er wusste nicht, wer sie war. Sie hatte gesagt: »Tut mir wirklich leid, Sie zu stören …«, als er sie mit hochgezogenen Augenbrauen und verkniffenem Mund anstarrte. Doch dann war Maggie gekommen.
    Doree war den ganzen Weg dorthin im Dunkeln gelaufen, anfangs entlang der Schotterstraße, an der sie mit Lloyd wohnte, dann auf dem Highway. Jedes Mal, wenn ein Auto kam, hockte sie sich in den Straßengraben, wodurch sie nur langsam vorankam. Vorsichtig warf sie einen Blick auf die vorbeifahrenden Autos, denn in einem davon konnte Lloyd sitzen. Sie wollte nicht, dass er sie fand, noch nicht, nicht, bevor er vor lauter Angst von seinem Irrsinn abgelassen hatte. Bisher war es ihr immer gelungen, ihm genug Angst einzujagen, indem sie heulte und kreischte und sogar den Kopf auf den Boden schlug und schrie: »Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr«, wieder und wieder. Schließlich hatte er dann klein beigegeben. Hatte gesagt: »Gut, gut, ich glaube dir, Schatz. Sei doch still. Denk an die Kinder. Ich glaube dir, ehrlich. Hör auf.«
    Doch heute Abend hatte sie sich, gerade als sie mit dieser Vorstellung beginnen wollte, zusammengerissen. Sie hatte ihren Mantel angezogen und war zur Tür hinausspaziert, wobei er ihr nachrief: »Tu das nicht! Ich warne dich!«
    Maggies Mann war zu Bett gegangen, immer noch deutlich angesäuert, während Doree ein ums andere Mal sagte: »Es tut mir leid, es tut mir so leid, Sie spät abends so zu überfallen.«
    »Ach, halten Sie den Mund«, sagte Maggie freundlich und vernünftig. »Möchten Sie ein Glas Wein?«
    »Ich trinke nicht.«
    »Dann fangen Sie jetzt besser nicht damit an. Ich mache Ihnen einen Tee. Der ist sehr beruhigend. Himbeere mit Kamille. Es sind doch nicht die Kinder?«
    »Nein.«
    Maggie nahm ihr den Mantel ab und gab ihr eine Handvoll Kleenex für Augen und Nase: »Warten Sie mit dem Erzählen. Kommen Sie erst mal zur Ruhe.«
    Aber auch, als sie halbwegs zur Ruhe gekommen war, mochte Doree nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken und Maggie gestehen, dass sie selbst der Kern des Problems war. Und noch weniger mochte sie Lloyd erklären müssen. Ganz egal, wie sehr sie sich mit ihm stritt, er war immer noch der Mensch, der ihr am nächsten stand, und sie hatte das Gefühl, dass alles zusammenbrechen würde, wenn sie sich dazu durchrang, jemandem in allen Einzelheiten zu erzählen, wie er war, wenn sie ihn verriet.
    Sie sagte, sie sei mit Lloyd wieder mal über eine alte Sache in Streit geraten, und sie habe die Nase so voll gehabt, dass sie nur noch hinauswollte. Aber sie werde darüber hinwegkommen, sagte sie. Sie beide würden schon
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