Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya
Autoren: Aysegül Acevit
Vom Netzwerk:
sie alle hätte auseinanderreißen können. Verzweifelt und kleinlaut kam der älteste Sohn zu seinen Eltern. »Ich muss euch was erzählen«, sagte er. Besorgt fragten Zeliha und ihr Mann, was los sei. »Ich habe die Firma verloren«, gestand der Sohn, »und musste das Auto verkaufen.« Er war bankrottgegangen. Die Wohnungseinrichtung war gepfändet worden, er stand buchstäblich in seinem letzten Hemd vor ihnen.
    Zeliha konnte es zunächst nicht fassen. Sie schimpfte und jammerte und gab ihm, dem fast 30-Jährigen, eine saftige Ohrfeige dafür, dass er so leichtsinnig oder so dumm gewesen war. Natürlich widersprach er nicht, wie sollte er auch, sie war schließlich seine Mutter. Am nächsten Tag zog er mit gesenktem Kopf und mit den nötigsten Habseligkeiten in die Wohnung der Eltern ein. Die schoben ein paar Möbel zur Seite, stellten ein Bett für ihn auf und richteten provisorisch ein Zimmer für ihn ein. Er hatte hoch und heilig versprochen, alles wieder in den Griff zu bekommen. Mit den anderen beiden Geschwistern und dem Vater wurde eine Krisensitzung durchgeführt. Für Zeliha war klar, dass die Familie nun zusammenhalten musste, in einer solchen Situation noch mehr als sonst. »Ihr beiden habt doch Erspartes, gebt das jetzt mal eurem Bruder!«, sagte sie zu den beiden anderen Geschwistern. »So sollte das sein«, stimmte ihr Mann zu. »So haben wir das früher auch gemacht, Kinder.« Und das hatten sie tatsächlich.
    Der Jüngste war empört, dass er sein sauer erspartes Geld hergeben sollte, doch Zeliha wusch ihm ordentlich den Kopf, dass er als anständiger Bruder seiner Familie beizustehen hätte und dass die anderen beiden und die Eltern genau das Gleiche auch für ihn tun würden. Das weichte sein Herz auf und mit nur noch leisem Zähneknirschen willigte er schließlich ein. Für seine Schwester war es selbstverständlich, dass sie ihrem Bruder jetzt helfen musste, und dass sie nun auf die Sachen, die sie sich mit ihrem Ersparten hatte leisten wollen, auf unbestimmte Zeit verzichten musste, nahm sie für ihn gerne in Kauf.
    Es tat dem Ältesten gut, den Rückhalt seiner Familie zu spüren, für die er selbst in schlechten Zeiten auch immer da gewesen war, als echter Abi , als älterer Bruder. Monate dauerte es noch, bis er neuen Mut fand und wieder aufrecht durchs Leben gehen konnte, so erzählte er es später, weil er keine Bank fand, die einem Gescheiterten wie ihm noch einen Kredit geben wollte, und nur mit der Unterstützung der Familie und mit viel Selbstdisziplin schaffte er es schließlich doch noch. Zusammen mit einem Freund baute er ein Geschäft für Mobiltelefone auf und schuf sich so wieder eine Existenzgrundlage, die er erweitern und ausbauen wollte.
    Zeliha hatte nicht nur deswegen so auf die Unterstützung der Geschwister gepocht, weil die Bande der Familie für sie traditionell so wichtig waren. Es gab n och einen anderen Grund, warum sie so darauf bestand, dass ihre Kinder auch in schwierigen Zeiten zusammenhielten, und sie erfuhren ihn schon kurze Zeit später. Die Eltern hatte das Heimweh gepackt, und Zeliha und ihr Mann beschlossen, von nun an in der Türkei zu leben. Für den Anfang zumindest für die Hälfte des Jahres, denn nach sechs Monaten wollten sie zurück nach Deutschland einreisen, da sie sonst ihr Aufenthaltsrecht verloren hätten.
    Als die Kinder das hörten, begriffen sie zunächst nicht, was dies für sie bedeutete. Sie glaubten, jeder würde sein Leben weiterleben, und damit wäre es getan. Für die Eltern war es natürlich ein großer Schritt. Sie gaben das Geschäft auf, das ohnehin rote Zahlen schrieb, erledigten alle nötigen Formalitäten und machten sich unverzüglich fertig für die Reise. Zeliha erteilte ihren Kindern noch eine Menge guter Ratschläge, vor allem dem Jüngsten, den sie endlich für reif genug hielt, dass er alleine zurechtkommen würde. Und als sie beim Abschied weinte und alle Nachbarn in ihre Wohnung kamen, um sie zu verabschieden, da tröstete sie sich mit dem einen Gedanken, dass sie das Wichtigste, was es für sie gab, gut auf diesen Tag vorbereitet hatte: ihre Kinder. Die Aufgabenverteilung unter den Geschwistern war geklärt, sie hatten alles Wichtige besprochen, und nun brachten sie ihre Eltern zusammen zum Flughafen. Für Zeliha und ihren Mann war es ein großes Ereignis. Zum ersten Mal nach all den Jahren verließen sie Deutschland, und wer konnte schon sagen, ob sie nicht sogar ganz in der Türkei bleiben würden, ob das Abenteuer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher