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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya
Autoren: Aysegül Acevit
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Verständnis auch nutzen und rundum informiert sein. Schließlich tauchen alltägliche Nachrichten aus der Türkei im deutschen Programm in der Regel nicht auf, und wenn man auf dem Laufenden bleiben will, muss man einen anderen Zugang finden.
    Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan hat einmal gesagt: »Das Fernsehen hat die Welt zu einem elektronischen Dorf gemacht.« Für niemanden trifft das wohl mehr zu als für die modernen Wanderer, die aus dem einen Land stammen und seine Kultur in sich tragen und in einem anderen Land sesshaft geworden sind.
    Wie die Menschen mit diesem elektronischen Dorf umgehen, entscheidet jeder selbst, und wie sie ihren Nutzen daraus ziehen, auch. Für manche ist das türkische Fernsehen via Satellit vielleicht ein elektronisches Traumdorf, in das sie sich vor ihren Alltagssorgen flüchten. Für manche ist es aber auch ein großer Gewinn, weil sie ihre türkischen Sprachkenntnisse pflegen können, die andernfalls verkümmern würden, weil sie ihre Kenntnisse über Land und Leute ausbauen können, über die man in deutschen Medien kaum etwas erfährt, und weil sie im Auge behalten können, was in dem Land passiert, in dem sie noch Verwandte und Freunde haben oder an dem ihr Herz hängt. Für sie ist das Fernsehen nicht nur ein Dorf, sondern vielleicht auch eine elektronische Brücke.
    Früher, als es noch keine Satellitenschüsseln und kein Kabelfernsehen gab, da half man sich mit Fernsehen aus der Konserve. Videos waren damals der Stoff der Träume, und in den 1980er Jahren liefen in türkischen Haushalten in Deutschland die Rekorder heiß, während sich die Familien, Freunde und Nachbarn davor versammelten.
    Heute sind die Filme von damals türkische Nostalgie, bei der sich fast jeder an seine Kindheit oder Jugend erinnert fühlt, an eine Zeit, als man gerade erst in Deutschland angekommen war. Die Stars von damals, Kemal Sunal, Türkan Soray oder Kadir Inanir, sind mittlerweile Kult geworden, so wie Marilyn Monroe oder James Dean. Fast jedes türkische Kind kennt sie, ihre Poster hängen manchmal in modernen Cafés in Köln oder Berlin, und wenn man sie anschaut, dann sieht man nicht nur Filmschauspieler, sondern auch ein Stückchen der eigenen Geschichte in Deutschland.
    Wenn Serap Fernsehen schaut, dann nascht sie aus der Programmvielfalt wie aus einer Pralinenschachtel. Sie mag dunkle Schokolade genauso wie helle, türkisches Programm genauso wie deutsches, auch wenn beide einen anderen Geschmack haben. Für Olli Pocher, Stefan Raab oder Ulrich Wickert wird sie immer eine Ausländerin sein, eine »von den anderen«, über die sie auch so reden. Für Beyaz ist sie es nicht. Vielleicht ist es dieses Gefühl der Vertrautheit, dass ihr seine Show so sympathisch macht. Es wird immer auch Pralinen geben, die Serap nicht mag und die sie deshalb einfach in der Schachtel liegen lässt und den Deckel zumacht. Das ist auch das Beste, denn zu viele Pralinen sind bekanntlich ungesund.
    Das müssen sich auch ihre Eltern gedacht haben. Als Seraps Lieblingsshow schließlich irgendwann gegen Mitternacht zu Ende ist, da ist es leer um sie herum geworden. Mama und Papa haben sich längst unbemerkt hinausgeschlichen, der Bruder ist in seinem Zimmer eingeschlafen, und auf dem Tisch stehen nur noch leere Teller. Die räumt Serap noch rasch weg und machte die Bühne frei für den nächsten Tag. Denn am Samstag darf ihr Bruder bestimmen, was geguckt wird, und Samstag ist Spielfilmtag im deutschen Fernsehen.
    Eine Abla ist eine Abla
    Ich ratterte mit der U-Bahn durch die dunkle Kölner Unterwelt. Die Bahn war voll besetzt, und alle schauten sich an und schwiegen. Bis auf drei Jungs, die auf einem Viererplatz mir gegenübersaßen. Sie waren etwa 13 oder 14 Jahre alt und redeten mal Deutsch mit kölschem Akzent und mal Türkisch. Sie waren frech und dreist und laut und fluchten und alberten herum, als wären sie alleine in der Bahn.
    Ich schaute sie mir eine Weile an, und als sie anfingen, aggressiv zu werden, da sagte ich auf Türkisch: »Setzt euch hin und hört auf so unerzogen zu reden! Terbiysizler. Ayýp lan sizin yaptýðýnýz ! Schämt Euch mal ein bisschen!«
    Die Jungs waren überrascht und schauten sich gegenseitig an. Zwei von ihnen setzten sich sofort hin und waren still. Der Dritte schaute mich grimmig an und keifte mit verbitterter Miene: »Was mischst du dich denn ein? Du hast doch gar nichts zu sagen!« Ich fasste ihn am Ohrläppchen, warf mein Kinn vor und sagte: »Ich hab nix zu
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