Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephan Ludwig
Vom Netzwerk:
leise.
    Zorn kam heran, sie nahmen Max in die Mitte. Schweigend gingen sie auf die Luke zu.
    »Ich brauch einen Kaffee«, sagte Zorn, dem die Stille peinlich wurde.
    Zwei Meter vor der Luke blieb Max stehen.
    »Kann ich vielleicht doch ein Taschentuch haben?«
    »Natürlich.« Schröder kramte in seinen Manteltaschen.
    Max putzte sich die Nase. Dann reichte er Schröder das Tuch.
    »Danke«, sagte er. Er war blass geworden, seine blauen Augen leuchteten fiebrig.
    »Alles okay?«, fragte Zorn.
    »Ich glaube, mir wird schlecht.«
    Max krümmte sich und hielt die Hand vor den Bauch.
    Zorn ließ seinen Arm los.
    Danach ging alles blitzschnell.
    Innerhalb von Sekundenbruchteilen veränderte sich das Gesicht des Jungen, wurde zu einer verzerrten, triumphierenden Maske.
    »Ich hab’s mir anders überlegt.«
    Dann rannte er los, quer über das Dach auf die andere Seite zu. Zorn stand wie erstarrt, unfähig, sich zu bewegen, als wären seine Füße einbetoniert. Schröder war schneller, im nächsten Augenblick folgte er dem Jungen, er flog förmlich, der Mantel umwehte ihn wie eine Flagge. Max sprang über einen Blitzableiter, leichtfüßig flitzte er über das Dach, noch vier, fünf Meter bis zum Rand, Schröder holte auf, er schrie, streckte die Hand aus, Max schlug einen Haken, Schröder verfehlte ihn knapp und griff ins Leere. Der Junge sah über die Schulter, merkte, dass der Abstand größer wurde, Zorn traute seinen Augen nicht, als er sah, wie Max jubelnd die Arme hochriss wie ein Sprinter kurz vor dem Ziel.
    Dann hob er ab.
    Einen Moment schien er in der Luft zu schweben, die Arme erhoben, die Beine leicht angewinkelt. Seine Haare wehten, das T-Shirt flatterte im Wind. Er stieß einen lauten Schrei aus.
    Im nächsten Moment war er weg.
    *
ich fliege, endlich bin ich frei, so ist es also, wenn …
    *
    Schröder stand schweratmend am Sims, die Hand hatte er noch immer erhoben.
    Unwillkürlich begann Zorn, die Sekunden zu zählen. Wartete auf den Aufprall, dessen Echo doch irgendwann zu ihnen heraufdringen musste. Oder irgendein anderes Geräusch, den Schrei eines Menschen, das Quietschen einer Bremse vielleicht.
    Doch da war nichts.
    Nur der Wind.
    Als hätte der Junge sich in Luft aufgelöst.
    *
    Die Sonne war aufgegangen. Schleierwolken trieben über den Himmel, es war diesig. Doch der Dunst löste sich allmählich auf, es würde ein schöner Tag werden. Langsam erwachte die Stadt zum Leben.
    Sie standen auf dem Fußweg gegenüber von Zorns Haus.
    »Ich war zu langsam.« Schröder hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, er zog die Schultern hoch, als wäre ihm kalt. »Ich hätte ihn aufhalten können.«
    »Nein, Schröder. Niemand konnte das. Er hat es die ganze Zeit vorgehabt, wir hatten keine Chance.«
    Auf der anderen Straßenseite wurde ein Absperrband hochgehalten, ein Leichenwagen näherte sich und fuhr langsam an ihnen vorbei. An der Heckscheibe stand unter einem silbernen Palmzweig der Name des Beerdigungsunternehmers:
    BESTATTUNGSHAUS FRÖHLICH – TRAUERFÄLLE ALLER ART , las Zorn verwirrt.
    Schröder sah nachdenklich zu, wie der Wagen um die Ecke verschwand.
    »Er war noch ein Kind.«
    »Ja«, nickte Zorn. »Ein böses Kind.«
    »War er das?«
    »Er war ein Killer, Schröder. Du weißt, wie viele Menschen er umgebracht hat.«
    »Man könnte sich fragen, was ihn dazu getrieben hat.«
    »Stimmt.« Zorn rieb sich die schmerzende Schulter. »Aber ich glaube, dass dieser ganze Irrsinn schon immer in ihm geschlummert hat.«
    »Vielleicht wäre das alles niemals ausgebrochen, wenn er eine normale Kindheit gehabt hätte. Wenn er jemanden gehabt hätte, der sich um ihn kümmert, der ihn liebt.«
    »Scheiß Konjunktive«, murmelte Zorn.
    Schröder erwiderte nichts.
    »Was ist mit dir?« fragte Zorn vorsichtig.
    »Was soll mit mir sein?«
    »Kann ich was für dich tun?«
    Schröder schüttelte langsam den Kopf.
    »Wir werden nicht darüber reden. Vergiss, was ich vorhin erzählt habe. Es ist über dreißig Jahre her. Bisher hat niemand davon gewusst, und ich will, dass es so bleibt. Ich komme klar.« Er atmete tief ein. »Irgendwie.«
    Zorn dachte eine Weile nach.
    »Du hast vorhin gesagt, du hättest keine Freunde. Das stimmt nicht.«
    Schröder sah auf. Seine Augen schimmerten hell, das Blau war tief, wie flaches Meerwasser in der Sonne. Ein kleines, fast unmerkliches Lächeln huschte über sein Gesicht.
    »Auch darüber müssen wir nicht reden, Chef.«
    Zorn bemerkte die Fältchen um seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher