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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephan Ludwig
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offen.
    *
    Max saß auf einem dreißig Zentimeter hohen, mit Zink beschlagenen Sims, der das Dach nach außen begrenzte. Der Mond stand im Rücken des Jungen, sein Schatten zeichnete sich auf der teergedeckten Oberfläche ab, als hätte jemand ein Loch in die Dachpappe geschnitten. Das Dach glitzerte im Mondlicht wie Schnee in der Sonne. Es war warm, trotzdem wirkte die Szenerie kühl, wie eingefroren: Max, der einsame Junge inmitten einer paradoxen, surrealistischen Landschaft, mit dem Rücken zum Abgrund sitzend, reglos, wie in einem Gemälde von Edward Hopper.
    Zorn zwängte sich durch die Luke und blickte sich um.
    »Bleib, wo du bist«, sagte Max. »Oder ich springe.«
    Er sah Zorn direkt in die Augen. Es war klar, dass er es ernst meinte.
    »Okay.« Zorn hockte sich in einer Entfernung von fünf, sechs Metern auf den Boden. »Ich weiß nicht genau, wie weit oben wir hier sind, aber fünfzig Meter sind es bestimmt, oder? Es wird nicht viel von dir übrig sein, wenn du da unten gelandet bist.«
    »Vielleicht will ich das ja?«
    Darauf wusste Zorn keine Antwort.
    »Meine Wohnung sieht aus wie ein Saustall«, sagte er stattdessen. Beim Reden angelte er vorsichtig das Handy aus der Hosentasche und tippte eine SMS ein. »Mindestens die Hälfte meiner Schallplatten ist kaputt. Die wirst du mir ersetzen, mein Lieber.«
    »Du hast mir fast die Kniescheibe gebrochen!«
    »Und du mein Schlüsselbein. Ich schätze, zumindest in dieser Beziehung sind wir quitt.«
    bin auf dem dach , stand auf dem Display.
    »Ich war noch nie hier oben.« Zorn schickte die Nachricht an Schröder, dann legte er das Telefon vorsichtig neben sich auf den Boden. »Es ist schön hier, findest du nicht?«
    Max zuckte die Achseln und schwieg.
    Die Sterne leuchteten hell, unzählige glitzernde, vibrierende Punkte. Rechts von ihnen, im Norden, stand ein großer, rötlich flimmernder Fleck tief über dem Horizont, nur ein paar Zentimeter über dem Sims.
    Zorn wies mit dem Finger darauf.
    »Was meinst du, ist das die Venus? Ich kenne mich mit Sternen nicht aus.«
    »Lass mich in Ruhe mit der Scheiße.«
    Zorn kramte seine Zigaretten hervor.
    »Willst du eine?«
    »Nein.«
    »Das hatte ich vergessen, du rauchst ja nicht.«
    Zorn lehnte den Kopf zurück und inhalierte tief. Der Mond schien ihm direkt ins Gesicht, er schloss geblendet die Augen.
    »Lass uns gehen, Max«, sagte er leise. »Du kannst nicht ewig hier oben hocken.«
    »Ich will nicht da runter. Was soll ich da? Ihr habt mir Martha weggenommen, hast du das vergessen?«
    Mist, überlegte Zorn, was soll ich darauf schon sagen? Das Mädchen scheint das Einzige zu sein, was ihm noch wichtig ist. Ich weiß nicht, wie ich mit so einer Situation umgehen soll. Wenn ich zu ihm gehe, springt er. Ich kann aber auch nicht sitzen bleiben und dummes Zeug reden.
    In der Ferne näherten sich Sirenen.
    Endlich, dachte Zorn. Ein paar Minuten noch, dann ist Schröder hier.
    »Willst du reden?«, fragte er.
    »Worüber?«
    »Über das, was passiert ist. Warum du all diese Menschen umgebracht hast.«
    Wind kam auf. Eine Böe erfasste das Haar des Jungen, er strich es sich mit einer raschen Bewegung aus dem Gesicht. Seine Augen leuchteten wie Scheinwerfer, als hätte man Licht in seinem Kopf eingeschaltet.
    »Sie waren mir im Weg.«
    »Deswegen tötet man niemanden.«
    »Wenn man einmal damit angefangen hat, wird es immer leichter.« Max hob die Hand und begann an den Fingern abzuzählen: »Björn. Udo. Eric. Sie haben es verdient, alle drei.«
    »Warum?«
    »Weil sie mir Martha wegnehmen wollten.«
    »Das ist alles?«
    »Ja. Und weil es so einfach war.« Max lachte leise. »Es hat irgendwie Spaß gemacht, euch an der Nase herumzuführen. Ich musste nur einen blöden Kaugummi auf den Hochsitz legen, und schon habt ihr gedacht, Eric hätte Björn getötet.« Er machte eine kurze Pause. »Bei Eric war es nicht ganz so leicht. Er hat sich gewehrt, als ich ihn von der Burg gestoßen habe. Der Blödmann hat mir voll in die Eier getreten.« Das klang ehrlich entrüstet.
    Zorn spürte, wie es in seinem Magen rumorte. Er überlegte, wann er zuletzt gegessen hatte. Die Brötchen vom Vorabend fielen ihm ein, sie grummelten in seinem Bauch und schickten sich an, wieder zum Vorschein zu kommen.
    Ich darf jetzt nicht kotzen, dachte er. Ich muss reden, einfach nur reden.
    »Und dann hast du die Filme auf die Festplatte von Pastor Giese überspielt.«
    »Natürlich«, nickte Max. »Schließlich brauchtet ihr jemanden, den ihr
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