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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephan Ludwig
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innerlich auf. Los!
    Max zögerte.
    »Geh weg«, schniefte er dann, »du bist zu nah.«
    »Wie du willst.« Augenblicklich wich Schröder zurück. »Du hast gesagt, wir hätten keine Ahnung. Aber das stimmt nicht.« Er sprach leise, wie hypnotisierend. »Soll ich dir sagen, warum?«
    Max sah ihn mit großen Augen an.
    »Ja.«
    »Weil ich dasselbe erlebt habe wie du.«
    Zorn fuhr zusammen.
    »Du lügst«, sagte Max.
    »Du wirst mir jetzt zuhören. Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Und ich habe nicht vor, das jemals wieder zu tun. Willst du?«
    »Was?«
    »Zuhören?«
    »Okay.«
    »Gut«, nickte Schröder zufrieden. »Ich war vier, als es angefangen hat. Aufgehört hat es, als ich acht war.« Er überlegte kurz. »Oder neun? Ich weiß es nicht mehr.«
    Zorn saß einen Meter hinter ihm, sah Schröders Rücken, die Schultern, die sich beim Sprechen bewegten. Er verstand jedes Wort. Doch er konnte nicht glauben, was er da hörte.
    »Es war mein Onkel, der Bruder meiner Mutter. Ich weiß nicht, wie schlimm es bei dir war, und auch nicht, was genau dein Vater mit dir angestellt hat. Ich will es auch nicht wissen. Bei mir war es schlimm. Sehr schlimm.«
    »Bei mir auch«, flüsterte Max.
    »Er war ein netter, fröhlicher Mann. Er hieß Paul, alle nannten ihn Teddy. Onkel Paul war riesig, groß wie ein Bär, musst du wissen, er trug einen schwarzen Vollbart mit feinen grauen Strähnen. Wenn er gelacht hat, mussten alle mitlachen, sein Lachen war tief und ansteckend, jeder mochte ihn. Teddy konnte Gitarre spielen, und er hat viel gesungen. Es war an den Wochenenden, da hat er uns immer besucht. Wir haben auf dem Land gewohnt. Tagsüber haben wir Ausflüge gemacht, die ganze Familie. In den Zoo, ins Schwimmbad, manchmal sind wir in die Stadt gefahren und ins Kino gegangen. Nachts kam er zu mir.«
    Schröder klang gleichmütig, gelassen, er sprach in einem seltsam eintönigen Singsang. Als würde er ein Märchen erzählen. Aber es war die Wahrheit, das wusste Zorn.
    »Soll ich noch mehr erzählen?«
    Max schluckte.
    »Nein.«
    »Ich sage dir das alles, um dir zu zeigen, dass man es irgendwie überleben kann. Es gibt Tage, an denen ich mich umbringen möchte, vor allem nachts ist es am schlimmsten. Siehst du?« Schröder streckte die linke Hand aus. »Ich habe mich selbst verletzt.«
    Max setzte sich wieder auf den Sims und beugte sich vor. Neugierig betrachtete er Schröders Hand, wie ein Kind, das ein Geburtstagsgeschenk öffnet. Die Brandblasen waren noch deutlich zu sehen.
    »Das tat weh, oder?«
    »Ich dachte, die Schmerzen helfen mir, das alles zu vergessen. Ich hab’s auch mit Tabletten versucht, aber es klappt nicht. Ich hab sie weggeworfen.« Schröder tippte sich an die Stirn. »Es ist für immer in meinem Kopf: Der Geruch, seine großen Hände, die freundliche Stimme. Und da wird es für den Rest meines Lebens bleiben, das weiß ich jetzt. Ich kann mich noch an seine Fingernägel erinnern, sie waren lang. Er hat mir damit die Arme zerkratzt.«
    Am Horizont wurde es langsam hell. Ein erster, vorsichtiger Schimmer tauchte die Stadt in ein rötliches Licht.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Max.
    »Mit wem?«
    »Deinem Onkel?«
    »Er ist tot.«
    »Gut.«
    »Ja«, nickte Schröder. »Das ist gut.«
    »Hast du ihn umgebracht?«
    Schröder schüttelte den Kopf.
    »Das war nicht nötig. Er hat es selbst getan.«
    Max sah ihn prüfend an.
    » Hättest du es denn getan?«
    Schröder überlegte.
    »Ich weiß es nicht. Ich habe drüber nachgedacht.«
    Neben Zorn tauchte ein Kopf auf. Zuerst erschien der Helm, dann das maskierte Gesicht eines Polizisten in der Luke. Zorn gab ihm ein Zeichen zu verschwinden.
    »Drei Minuten«, flüsterte der Mann. »Dann greifen wir ein.«
    Er glitt geräuschlos zurück.
    Schröder war aufgestanden.
    »Ich fühle mich immer noch schuldig, obwohl ich weiß, dass es Blödsinn ist«, sagte er. »Ich habe keine Freunde, keine Frau, keine Kinder. Ich bin fast vierzig, und ich wohne allein. Aber ich bin am Leben. Es ist kein sonderlich schönes Leben, aber es ist besser als nichts.«
    Er hob die Hand, sie war keinen Meter von Max entfernt.
    »Komm jetzt.«
    Max sah zuerst Schröder an, dann Zorn. Er dachte angestrengt nach, dabei biss er sich leicht auf die Unterlippe.
    »Ich weiß nicht.«
    Mach keinen Scheiß, dachte Zorn.
    »Bitte«, flüsterte Schröder. Vorsichtig, ganz vorsichtig griff er nach dem Arm des Jungen. Max versteifte sich, ließ es aber geschehen.
    »Okay«, sagte er
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