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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere
Autoren: Falconer,Colin
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vertäut. Ein prachtvolleres und teureres Retourschiff als sie hatte es in Holland nie gegeben.
    Vom Heck bis zum Schiffsschnabel maß die Batavia fünfzig Schritt, und noch einmal hundertfünfzig Schritt vom Kiel bis zur
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    Spitze des Großmasts hinauf. Ihre Spanten und Planken entstammten bestem baltischem Eichenholz und waren von den geschicktesten Amsterdamer Schiffszimmerleuten gedrechselt und geschliffen worden. Ihr Schanzkleid war mit grünen und goldenen Streifen und Malereien versehen, und die festen, dicken Leinwände der Segel ragten leuchtend weiß in die Luft.
    Die Galionsfiguren, der Schmuck und die Ornamente des Schiffes bestanden aus schön geschnitzten Meerjungfrauen, Meergöttern und Ungeheuern zum Bann böser Geister, aber auch aus den ehrwürdigen Abbildern alter Krieger, wie dem des legendären Claudius Civilis, der den Aufstand gegen das Römische Reich angeführt hatte und von dem die Holländer ihre Herkunft ableiteten. Weitere Schnitzereien schmückten die schneckenförmigen Gewinde um den Pfeilerkopf, der sich am Bug zu Hollands rotgoldenem Löwen erhob.
    Die Batavia war zweifellos das Juwel der VOC, der Vereinigten Ostindischen Companie von Holland, deren blaue Flagge ungeduldig im steifen Nordseewind flatterte.
    Lucretia van der Mylen war es gewohnt, dass die Männer sie anstarrten. Sie wusste, dass ihre Schönheit wie ein Edelstein war, der bei dem Betrachter den Wunsch auslöste, ihn zu besitzen.
    Ihr Mann hatte darauf bestanden, dass sie für ihre Reise eine Dienstmagd anwarb. Das war der zweite Vorzug, der sie von den anderen unterschied. Gewiss, dachte sie, würde man ihr auch diesen Umstand neiden.
    Lucretia hatte sich erzählen lassen, dass dort, wo sie hinsegelten, die Welt aus ungeahnten Wundern bestünde und durchtränkt sei vom schweren Geruch fremder Düfte und Gewürze. Doch keine dieser Schilderungen hatte sie zu trösten vermocht. Sie wusste um die Beschwerlichkeit der Reise, die langen, eintönigen Monate an Bord, das beengte Zusammensein mit fremden Menschen, die Belästigungen seitens der Männer
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    und die Missgunst, die im Herzen der Frauen entstand. Sie hatte jedoch keine Wahl gehabt: Ihr Mann hatte sie zu sich gerufen, und als Ehefrau hatte sie sich seinem Wunsch zu fügen.
    Schau an, das ist also Lucretia van der Mylen, dachte Kapitän Jacobs.
    In der Tat ein Prachtweib, musste er zugeben. Pechschwarzes, glänzendes Haar und die Haut in der Farbe des Bernsteins - da waren offenbar auch einige Tropfen spanischen Blutes untergemischt.
    Die Seeleute glotzten bereits und schluckten heftig. Sie mussten den Schlag verkraften, eine Frau zu begehren, die nicht zu haben war.
    Nun, diese Dame war zweifellos keine beliebige Dirne, denn eine solche erkannte der Kapitän gewöhnlich an der Art, wie sie ging- Nein, Lucretia van der Mylen überquerte das Deck mit der natürlichen Unbefangenheit einer Frau, die sorglos auszuschreiten gewohnt war und längst wusste, dass andere sich um ihr Wohlsein bemühten.
    Der Kapitän ließ seinen Kennerblick zu Lucretias Brüsten und ihrem Hinterteil wandern, die unter dem bauschigen Rock und der hochgeschlossenen Jacke nicht ohne weiteres auszumachen waren. Wohl gerundet und voll, stellte er dennoch zufrieden fest. Verführerisch und reizvoll genug, dass man sich über das Schiffsgesetz hinwegsetzen könnte. Neun Monate an Bord waren eine lange Zeit!
    Es gab alte Seebären, die behaupteten, eine schöne Frau an Bord bringe Unglück und rufe im Mann den Teufel hervor.
    Unfug, dachte der Skipper, als ob da Glück oder Pech eine Rolle spielten! Das war nichts weiter als ein einfaches Rechenexempel: Wenn mehr als dreihundert Mann an Bord mit ein und derselben Frau anbandeln wollten, gab es irgendwann zwangsläufig Ärger. Für einen Moment fragte Jacobs sich, ob er die Liste verkürzen und die Zahl der Bewerber auf seine Person
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    beschränken sollte. Vielleicht würde Madame ihm hinterher zweifach dankbar sein.
    Besser wäre es gewesen, überlegte Pfarrer Bastians, wenn der Herr in seiner unendlichen Güte und Weisheit ihm eine hässliche Tochter geschenkt hätte. Den Pfarrer beunruhigten die lüsternen Blicke, die seine Judith auf sich zog. Welch ein roher, gottloser Haufen sich da vor ihnen tummelte! Seeleute und niederes Gesindel, das man für ein paar Groschen in den Spelunken und Freudenhäusern des Hafens aufgelesen hatte.
    Wenn der Mensch im Herzen sündigt, so stand es im guten Buch der Bibel geschrieben, ist es, als habe er
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