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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein
Autoren: Mayer Gina
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würde.
    Der Raum begann sich langsam zu drehen, immer in dieselbe Richtung, wie ein Kinderkarussell mit bunt bemalten Pferdchen und Schwänen. Hin und wieder tauchte der Papagei auf seiner Triangelstange auf, er schien Mira höhnisch zuzunicken. Ich will nach Hause, dachte sie verzweifelt, wenn ich nur schon zu Hause wäre. Aber solange sich der Raum so drehte, würdesie nicht einmal den Ausgang finden. Also ließ sie die runden Wände, die Lampions und die Kunstblumen und den ausgestopften Vogel um sich herumziehen und wartete darauf, dass sie wieder nüchtern wurde oder ohnmächtig. Gudrun unterhielt sich mit dem Schnurrbart, aber Mira konnte der Unterhaltung nicht folgen, sie musste sich ganz darauf konzentrieren, dass sie nicht vom Stuhl fiel, denn das Karussell drehte sich jetzt immer schneller und schneller.
    »Ihre Freundin ist ganz gewiss anderer Meinung«, hörte sie den jungen Mann plötzlich sagen, und im selben Moment stand das Karussell still. Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass beide sie ansahen, Gudrun und der Mann, der Franz hieß, so viel hatte sie immerhin noch mitbekommen. Offensichtlich warteten sie darauf, dass Mira etwas entgegnete. Worüber sie wohl gesprochen hatten? Mira räusperte sich. Der Raum setzte sich wieder in Bewegung, aber nun drehte er sich in die andere Richtung, und die beiden Gesichter drehten sich mit. Gudrun sah ein bisschen besorgt aus. Franz dagegen wirkte amüsiert.
    »Mira?«, fragte Gudrun.
    »Nein«, sagte sie. »Ich meine ja. Ach, ich weiß es doch selbst nicht.«
    »Ich bringe Sie jetzt nach Hause«, meinte Franz.
     
    Am nächsten Morgen konnte Mira nicht zur Arbeit gehen. Sie war gleich aufgestanden, als der Wecker geklingelt hatte. An der Waschschüssel wusch sie sich das Gesicht, die Stirn, hinter der es dröhnte und schmerzte. Danach dachte sie kurz darüber nach, ob sie etwas frühstücken sollte, und dann erbrach sie sich zum ersten Mal. Hinterher machte sie das Fenster auf und atmete die warme Morgenluft ein, die sich über dem Dach zu stauen begann. Vier Atemzüge und sie musste sich wieder übergeben.
    Wie soll ich den Leuten in diesem Zustand nur ihr Essen servieren? dachte sie, während sie sich wieder das Gesicht wusch. Plötzlich sah sie einen Teller mit Schweinebraten und runden gelblichen Kartoffelklößen vor sich, und bevor sie das Bild wiedervertreiben konnte, roch sie die fettige braune Soße, und dann hing sie wieder über dem Eimer.
    Irgendwann würgte sie nur noch, aber sie erbrach nicht mehr als wässerigen Schleim, weil sämtliche Cocktails und alles, was sie gegessen hatte, ihren Magen längst verlassen hatten. Ihr Körper wollte das jedoch nicht einsehen, er versuchte, sich von innen nach außen zu kehren.
    Später lag sie im Bett, einen nassen Lappen auf der Stirn, und versuchte zu schlafen. Aber ihr Körper war so leer und kraftlos, sie konnte die Gedanken nicht abwehren, die aus allen Richtungen in ihren Kopf drängten und sich darin breit machten. Ich muss doch in der Rheinterrasse Bescheid geben, dass ich nicht kommen kann, dachte sie. Auf der Haroldstraße war ein Postamt, aber wie sollte sie dahin kommen? Allein bei dem Gedanken wurde ihr Hals wieder ganz eng und ihr Mund trocken.
    Herr Kiesemann, der Betreiber der Rheinterrasse, sagte aber, dass es immer eine Möglichkeit gab, wenn man nur willens war und seine Verpflichtungen nicht auf die leichte Schulter nahm. Herr Kiesemann hat keine Ahnung, dachte Mira kraftlos. Wenn ich jetzt aufstehe, sterbe ich. Soll er mich eben kündigen. Sie beschloss, nicht mehr an Herrn Kiesemann zu denken, und überlegte stattdessen, wie sie in der letzten Nacht heimgekommen war.
Ich bringe Sie jetzt nach Hause
, hatte dieser Franz im Roten Kakadu gesagt, daran erinnerte sie sich noch, aber danach versank alles in dichtem weißem Nebel. Ihr Kopf drehte sich, wenn sie darüber nachdachte. Sie waren in ein Automobil gestiegen, aber sie konnte sich nicht erinnern, ob Franz gefahren war oder ein Taxichauffeur. Hatten sie zuerst Gudrun nach Hause gebracht, die hinter der Husarenkaserne auf der Deichstraße wohnte? Das war ihre größte Sorge. Denn wenn Gudrun zuerst ausgestiegen war, dann war sie mit Franz allein im Automobil gewesen. Nein, versuchte sie sich zu beruhigen, Gudrun wusste doch, wie es um mich stand, sie hätte mich nicht mit ihm ziehen lassen. Aber Gudrun hat genauso viel getrunken wie du, flüsterte ihr eine gehässige Stimme zu. Und selbst wenn sie stocknüchtern ist, ist kein Verlass
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