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Zipfelklatscher

Zipfelklatscher

Titel: Zipfelklatscher
Autoren: Heidi Hohner
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überkandidelten Hochzeiten und zweitens mir noch an den Schultern, weil es nämlich keine hat.
    Als ich wieder aufwache, hängt mein nackter Arm immer noch quer über das Bett, und meine Hand hält brav den Saum des Petticoats fest. Der Stoff des restlichen Kleides allerdings hat sich über der Nachttischlampe in eine Art bräunliche Lava verwandelt, die über dem Lampenschirm Blasen wirft und an der Glühbirne zu einer schwarzen Kruste festgebacken ist.
    »Sacklzement!«
    Ich fluche auf Bayerisch, obwohl ich inkognito unterwegs bin. Aber wenn ich stocksauer bin, kommt es manchmal einfach durch.
    »Scheiße, verdammte!«
    Fluchen auf Hochdeutsch kann ich mindestens genauso gut, aber das nützt mir jetzt auch nichts. Ich reiße das Kleid von der Lampe weg, es stinkt gewaltig nach verschmortem Plastik. Und es kann eigentlich nicht sein, dass Nils davon nichts mitbekommt. Aber der Melkmaschinenprofi schnarcht, als müsste er bis zum Mittagessen noch drei Ster Buche klein sägen. Die Rauchschwaden ziehen direkt nach oben an die holzvertäfelte Decke, wo das stecknadelgroße rote Lämpchen des Rauchmelders eifrig vor sich hinblinkt. Ihm gilt mein zweiter besorgter Blick. Ich weiß von Janni, dem ehrenamtlichen Feuerwehrhauptmann der Fraueninsel, dass es der Hotelchef Hans Leutheuser (eigentlich der Zumsler Hans genannt, aber das erkläre ich später) mit dem Alarmsystem nicht so genau nimmt und der Rauchmelder eher theoretisch blinkt, aber nicht praktisch. Eine Drohgebärde sozusagen, wie beim Chiemseekrebs, der fuchtelt auch immer mit seinen Zangen herum wie ein ganz Großer. Aber zwicken kann man das wirklich nicht nennen, was der mit seinen putzigen Scheren macht.
    Mich zwickt trotzdem etwas, nämlich das flüssige Plastik, das gerade an meinen Fingern fest wird. Das tut weh, aber ich gebe trotzdem alles, um so schnell wie möglich aus diesem unglückseligen Zimmer zu verschwinden. Mit dem verhunzten Kleid ist das gar nicht so einfach, weil ich plötzlich mit einem Bein in dem riesigen Brandloch stehe und alles noch einmal nach unten fummeln muss, um den richtigen Eingang zu finden. Der Campanile des Klosters schlägt zur Dreiviertelstunde, und gleich darauf bimmelt ein helles Glöckchen die Klosterschwestern zum Morgengebet. Viertel vor sechs also. Ich kann von Glück sagen, wenn mein Vater mit seiner senilen Bettflucht nicht bereits die Insel nach mir absucht. Außerdem ist das Konzert noch nicht zu Ende: Während der letzte helle Ton der Gebetsglocke noch in der Luft schwingt, jault plötzlich eine Sirene los, ohrenbetäubend. Hat der Rauchmelder also doch gemerkt, dass der Polyesterqualm meines Kleides die Rauchmenge einer Zigarette überschreitet und den Feueralarm ausgelöst! Gut gemacht, Fräulein Lochbichler. In ein paar Minuten werden sich alle auf der Insel lebenden Männer in ihre Uniformen der freiwilligen Feuerwehr [4] geworfen haben und zum Brandherd und zum Spritzenhaus rennen. Na sauber. Der Brandherd, das bin ich, und das Spritzenhaus liegt genau auf meinem Heimweg.
    Der erste Sirenenton fällt in sich zusammen, und während der zweite anschwillt, schaffe ich es endlich, den von der Hitze verformten Reißverschluss an der Seite nach oben zu zerren. Ich vergewissere mich, dass Nils die Augen weiter fest geschlossen hat, ziehe die Tür möglichst sanft hinter mir zu, und starte durch wie ein Kännchen-Kaffee-Tourist, der das Abfahrtstuten seines Chiemsee-Dampfers hört. Obwohl das kopfgroße Brandloch auf der Höhe meines Hinterns dafür sorgt, dass mein Kleid angenehm luftig ist, bricht mir der Schweiß aus, als ich mit meinen Schuhen in der Hand die Treppe hinunterjage. In der kurzen Stille zwischen dem zweiten und dritten Sirenenton springe ich in einem wenig eleganten Ausfallschritt über die letzte Stufe des obersten Absatzes. Ich weiß noch von vorher, wie laut sie knarzt, und ich bin alles andere als ein leichtes Mädchen.
    Die Tür des Personaleingangs auf der Rückseite des Hotels fällt ein paar Sekunden später hinter mir ins Schloss, ihr bleiverglastes Sprossenfensterchen klirrt leise, und ich spähe vorsichtig um die Ecke. Nur vier Feuerwehrmänner. Das hätte schlimmer kommen können. Ich warte kurz, bis sich die Helden in Uniform an der Wegkreuzung vor der alten Linde zusammengefunden und organisiert haben. Organisiert haben heißt: Feuerwehrhauptmann Janni Kraillinger, den ich als Einzigen erkenne, weil er seinen Helm noch nicht auf dem Kopf hat, fuchtelt herum, dann schreit er: »Hey
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