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Zipfelklatscher

Zipfelklatscher

Titel: Zipfelklatscher
Autoren: Heidi Hohner
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ein Schrieb?«
    »Nix«, sage ich und zerreiße den Umschlag langsam einmal in der Mitte, lege die zwei Hälften aufeinander und zerreiße sie noch einmal.
    »Absolut unwichtig. Wo bleibt eigentlich meine Überraschung?«

»Renn so schnell du kannst, und wenn ich sage Hopp, dann streckst du die Haxen in die Luft!«
    »NEIN!«
    »Renn! Hopp!«
    Der Motorradhelm, den Michi-Mike mir auf die Birne gedrückt hat, rutscht mir Gott sei Dank ein wenig über die weit aufgerissenen Augen, als ich auf den Abgrund zulaufen muss, der sich vor mir auftut, das Stampfen und Schnaufen von Michi-Mike direkt hinter mir, hinein in den sicheren Tod. Aber dann gibt es einen Ruck, und die Almwiese unter mir ist nicht mehr zu spüren, der Aufwind fährt in den Gleitschirm, der über uns aufblüht wie eine gigantische Orchidee, und Michi-Mike lässt einen Brunftschrei los, der über den ganzen Chiemgau hallt. Irgendwie habe ich mir immer vorgestellt, dass man sich bei einem Tandemflug wie ein Koalababy am Rücken seines Vordermannes festklammert. Dass ich vorne sitzen würde, festgeschnallt auf einer Art Sandsack, mit freiem Blick auf die Felsen und Wiesen, auf denen ich alsbald zerschmettert liegen werde, damit hatte ich nicht gerechnet. Michi-Mike hingegen scheint völlig in seinem Element zu sein und palavert vor sich hin: »Merci hey, des Gliden ist so endsgeil, da schnallst du ab! Eine Spitzenthermik hast du da derwischt, an deim Geburtstag!«
    Ich schaffe es, eine Hand zu lösen, und mit einem kurzen Griff in den Schritt zu prüfen, ob mich die Todesangst ein kleines oder großes Geschäft verrichten hat lassen, aber anscheinend haben sich alle meine Körperöffnungen vor Schock hermetisch verschlossen, trotz der Menge Wasser, die ich aus Nervosität in mich hineingeschüttet habe.
    Aber als ich das Visier nach oben schiebe und einen Rundumblick habe, stockt mir dann doch der Atem. Das ist leider wirklich geil. Diese blau glitzernde endlose Fläche, auf der wie kleine Wattekügelchen die ersten Segelboote auftauchen, das ist der Chiemsee, und er ist wunderschön. Ich lehne mich vorsichtig zurück, versuche ruhiger zu atmen und mich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen. Der Wind weht mir die Angst aus dem Gesicht, ich würde gerne in Ruhe gucken, aber das Nonstop-Gequatsche von Michi-Mike nervt, und ich hole tief Luft und schreie laut: »Kannst du bitte mal die Klappe halten?«
    Oben ist schlagartig Ruhe, aber der letzte Satz »Warte erst mal, bis du das Wakeboarden ausprobiert hast!« hängt noch in meinem Ohr. Ich kann zuerst nicht sagen, was mich an diesem Satz so stört: Paragliding, Wakeboarding, das ist schließlich alles Jacke wie Hose, so ist das nun mal, wenn der Verlobte in einem Outdoorcenter arbeitet. Ist doch auch gut, wenn Michi-Mike seinen Job mag und mir nicht in die Fischerei reinpfuschen will. Ich betrachte den Chiemsee, darauf ein langer grüner Streifen, die Herreninsel, ein kleiner mövenkackegroßer Fleck, die Krautinsel, und dann die Fraueninsel mit dem weißen Kirchturm in den Bäumen. Wie immer, wenn ich die Insel von Weitem sehe, finde ich es gleichzeitig absurd und wunderbar, dass man auf so einem Fleckchen wohnen kann. Mitten im Wasser, und das auf einem See. Und jetzt weiß ich auch, was mich gerade so irritiert hat: »Mike, aber Wakeboarden, das macht man doch auf dem Wasser, oder?«
    »Freilich«, schreit Michi-Mike, »oder willst du mit dem Wakeboard zum EDEKA fahren?« Er lacht sich halb tot da über mir, bis der Gleitschirm in beängstigende Vibrationen gerät.
    »Aber wo wollt ihr das dann anbieten? Euer Oudoorcenter Schneizlreuth ist ja in den Bergen!«
    Ich verstehe ja nicht viel davon, aber während ich so in der Luft kreise, mit Vogelperspektive auf die Insel, wird mir klar, was da vor mir liegt: Wakeboarder’s Paradise . Könnte es einen besseren Spot geben als die Fraueninsel, wo einen der Wind sofort mitnehmen kann?
    »Mei, äh«, schreit jetzt der Mike, »des schauma mal, am Chiemsee halt irgendwo. Vielleicht in Chieming. Oder Übersee. Ja, genau, in Übersee!«
    Ich habe einen fürchterlichen Verdacht, und Michi-Mike lügt so schlecht, dass es noch nicht einmal der Wind, der seine Worte von ihm wegweht, verbergen kann, und er reißt an seinen Lenkgriffen herum, dass mir ganz anders wird.
    Aha-Erlebnisse bringen einen ja angeblich immer weiter, aber in fünfhundert Metern Höhe zu merken, dass der Jugendfreund dabei ist, einen so was von übers Ohr zu hauen, das ist pure Folter, vor allem,
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