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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Autoren: Jodi Picoult
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Sie versuchte zu lächeln, aber es sah ganz falsch aus – wie ein schief gebogener Draht, der einfach nicht gerade zu kriegen ist. Sie erzählte meinem Dad, dass sie in Teilzeit an einer freien Frauenklinik in Boston arbeite und dass sie gerade auf dem Weg dorthin sei. Dann stieß sie einen Becher mit Strohhalmen an der Kasse um, und sie hatte es so eilig, dass sie ganz vergaß zu bezahlen, bis das Mädchen, das ihr den Kaffee ge­geben hatte, sie daran erinnerte, dass der nicht umsonst sei.
    Ich vermisste Piper, aber ich glaube, meine Mutter vermisste sie noch mehr. Sie hatte eigentlich keine Freundinnen mehr. Sie hing nur mit mir, Amelia und Dad herum.
    Das war ziemlich traurig.
    »Sollen wir backen?«, fragte ich.
    Meine Mutter rollte mit den Augen. »Du willst mir doch nicht weismachen, dass du Hunger hast. Du hast doch gerade erst zu Mittag gegessen.«
    Ich war auch nicht hungrig, aber mir war langweilig.
    Sie schaute mich an. »Weißt du was? Geh und hol Amelia, dann denken wir uns etwas aus. Wie wär’s mit einem Film?«
    »Wirklich?«
    »Wirklich«, sagte meine Mutter.
    Wir konnten uns jetzt das Kino leisten, und wir gingen auch in Restaurants, und ich sollte einen Sportrollstuhl bekommen, damit ich Kickball mit meiner Klasse spielen konnte. Amelia sagte, der Grund, warum wir uns das auf einmal leisten konnten, sei der Scheck, der noch immer am Kühlschrank klebte. In der Schule gab es Dummköpfe, die sagten, wir seien reich, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Ich meine, immerhin haben meine Eltern den Scheck nie eingelöst. Wir fuhren noch immer einen rostigen, alten Wagen, wohnten in unserem kleinen Haus und trugen dieselben Kleider. Eine Menge Nullen hatten eigentlich gar nichts zu bedeuten, außer Sicherheit. Meine Eltern konnten ein wenig verschwenderisch sein, denn wenn das Geld mal ausginge, hatten wir ja noch die Reserve. Das hieß, dass sie sich kaum noch stritten, und das war etwas, was man ohnehin in keinem Geschäft kaufen konnte. Ich wusste nicht viel über Bankkonten, aber immerhin so viel, dass Schecks eigentlich gar nichts waren, solange man sie nicht zur Bank brachte. Meine Eltern schienen jedoch keine große Eile zu haben. Alle paar Wochen sagte meine Mutter: Ich sollte ihn wirklich mal zur Bank bringen , und mein Vater brummte zustimmend; aber irgendwie passierte das nie, und der Scheck blieb am Kühlschrank.
    Ich ging in die Abstellkammer, um meine Stiefel und meinen Mantel zu holen, und meine Mutter rief mir hinterher: »Sei …«
    »Vorsichtig«, beendete ich den Satz für sie. »Jaja, ich weiß.«
    Es war März, aber es war noch immer kalt genug draußen, dass mein Atem komische Wolken bildete. Eine davon sah wie ein Hühnchen aus, eine andere wie ein Nilpferd. Vorsichtig ging ich hinter dem Haus den Hang hinunter. Wir hatten keinen Schnee mehr, aber der Boden knirschte noch immer unter meinen Stiefeln.
    Amelia war vermutlich im Wald. Sie malte gern die Birken. Die seien tragisch, sagte sie. Ich steckte die Hände in die Taschen und zog mir den Schal über die Nase. Mit jedem Schritt dachte ich an etwas, das ich wusste:
    Die durchschnittliche Frau verbraucht sechs Pfund Lippenstift in ihrem Leben.
    Three Mile Island ist eigentlich zweieinhalb Meilen lang.
    Kakerlaken mögen die Gummierung von Briefmarken.
    Ich zögerte, als ich an den Rand des Teiches kam. Das Schilf war fast so groß wie ich, und ich kam nur mit viel Mühe hindurch, ohne mich mit Armen und Beinen zu verfangen. Zum ersten Mal seit Monaten hatte ich keine verheilenden Knochenbrüche mehr, und ich wollte, dass das so blieb.
    Mein Vater hatte mir einmal eine Geschichte erzählt. Er war gerade mit dem Streifenwagen draußen gewesen, als er bemerkte, dass alle Autos vor ihm einfach angehalten hatten. Er bremste ab, parkte und öffnete dann die Tür, um zu sehen, was los war. Als er jedoch auf den Bürgersteig trat, landete er flach auf dem Rücken. Blitzeis. Es war schon ein Wunder gewesen, dass er überhaupt hatte bremsen können.
    Das Eis auf dem Teich war genauso. Es war so klar, dass man den Sand darunter sehen konnte, klar wie eine Glasscheibe. Vorsichtig ließ ich mich auf alle viere nieder und schob mich stückchenweise vorwärts.
    Ich hatte nie allein aufs Eis gedurft, und wie bei den meisten Dingen, die man nicht darf, ließ mich der Gedanke daran nicht los.
    So konnte ich mir nicht wehtun. Ich bewegte mich ganz langsam und stand auch nicht auf. Ich machte einen Buckel wie eine Katze und schaute durch das
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