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Zelot

Zelot

Titel: Zelot
Autoren: Reza Aslan
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wissenschaftlich mit der Geschichte der Religionen zu beschäftigen, entwickelten sich aus diesem frühen Unbehagen bald ausgewachsene Zweifel an meinem neuen Glauben.
    Die Basis des evangelikalen Christentums ist, so hat man es mir jedenfalls beigebracht, der bedingungslose Glaube, dass jedes Wort der Bibel von Gott kommt und wahr ist, buchstäblich und unfehlbar. Die plötzliche Erkenntnis, dass diese Überzeugung ganz offenkundig und eindeutig falsch ist, dass die Bibel voller eklatanter und augenfälliger Irrtümer und Widersprüche steckt – wie man es von einem Text, der von hunderten Händen über Jahrtausende hinweg geschrieben wurde, nicht anders erwarten kann –, ließ mich verwirrt und ohne spirituellen Anker zurück. Und so verwarf ich wie viele andere in dieser Situation wütend meinen Glauben, als sei er eine teure Fälschung, der ich aufgesessen war. Ich begann wieder über den Glauben und die Kultur meiner Väter nachzudenken und spürte als Erwachsener eine tiefere, engere Bindung zu beidem als früher in meiner Kindheit, eine Vertrautheit wie im Umgang mit einem alten Freund, den man nach vielen Jahren wieder trifft.
    Gleichzeitig setzte ich meine akademische Beschäftigung mit der Religionswissenschaft fort und vertiefte mich wieder in die Bibel, nicht als bedingungslos Glaubender, sondern als wissbegieriger Forscher. Nachdem ich die Annahme, die Geschichten dort seien buchstäblich wahr, aufgegeben hatte, bemerkte ich eine tiefere Wahrheit in dem Text, eine Wahrheit, die absichtlich losgelöst war von den Bedingtheiten der Historie. Je mehr ich über das Leben des historischen Jesus erfuhr, über die turbulente Welt, in der er lebte, und über die Brutalität der römischen Besatzung, der er die Stirn bot, desto stärker fühlte ich mich ironischerweise zu ihm hingezogen. Ja, der jüdische Bauer und Revolutionär, der die Herrschaft des mächtigsten Reiches herausforderte, das die Welt je gesehen hatte, und daran scheiterte, stand mir viel realer vor Augen als jenes abgeklärte, überirdische Wesen, mit dem man mich in der Kirche bekannt gemacht hatte.
    Heute kann ich mit Überzeugung sagen, dass zwei Jahrzehnte gründlicher akademischer Forschung zu den Ursprüngen des Christentums aus mir einen Anhänger des Jesus von Nazaret gemacht haben, leidenschaftlicher, als meine Begeisterung für Jesus Christus je war. Mit diesem Buch möchte ich die frohe Botschaft des historischen Jesus mit demselben Eifer verbreiten wie früher als Junge die Geschichte des Christus.
    Auf einige Dinge möchte ich noch hinweisen, bevor wir mit unserer Untersuchung beginnen. Zu jedem gut belegten, intensiv erforschten und absolut maßgeblichen Argument in Bezug auf den historischen Jesus gibt es ein ebenso gut belegtes, ebenso intensiv erforschtes und ebenso maßgebliches Gegenargument. Statt die Leser und Leserinnen mit der jahrhundertelangen Debatte über das Leben und die Mission des Jesus von Nazaret zu belasten, habe ich meine Darstellung ausgehend von meiner langen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Neuen Testament und der frühchristlichen Geschichte auf den meiner Ansicht nach genauesten und einleuchtendsten Belegen aufgebaut. Wer sich für diese Debatte interessiert, findet ausführliche Forschungsdiskussionen und wo möglich auch die Argumente jener Wissenschaftler, die mit meiner Deutung nicht übereinstimmen, in den langen Anmerkungen am Ende dieses Buches.
    Die Bibelpassagen sowie die Namensschreibweisen sind in der vorliegenden deutschsprachigen Ausgabe der Einheitsübersetzung entnommen.
    Alle Bezüge auf das Material der Logienquelle Q (das Material, das nur das Matthäus- und das Lukas-Evangelium verwenden) werden so gekennzeichnet: (Mt|Lk), wobei die Reihenfolge der Bücher anzeigt, welches Evangelium ich genauer zitiere. Die Leser werden feststellen, dass ich mich bei meiner Skizze der Geschichte Jesu vor allem auf das Markus-Evangelium und das Q-Material stütze. Dies sind die frühesten und damit zuverlässigsten Quellen, die uns über das Leben des Nazaräers zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen habe ich mich nicht allzu sehr in die sogenannten gnostischen Evangelien vertieft. Diese Texte sind unglaublich wichtig für das weite Meinungsspektrum der frühchristlichen Gemeinschaft zu der Frage, wer Jesus war und was seine Lehren bedeuteten, aber sie werfen kaum neues Licht auf den historischen Jesus selbst.
    Obwohl fast einhelliger Meinung nach die Evangelien, mit der möglichen Ausnahme
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