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Zeitlabyrinth

Zeitlabyrinth

Titel: Zeitlabyrinth
Autoren: Keith Laumer
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schob eine schwarze, feuchte Locke zur Seite und nahm vorsichtig den kleinen Goldknopf an sich, der in der zarten Ohrmuschel des Mädchens befestigt war. Als er ihn in der Hand hielt, wich das Bewußtsein aus den Augen des Mädchens. Roger umfaßte ihr Handgelenk, spürte ein letztes schwaches Flattern des Pulses – und dann nichts mehr.
    »He!« Roger starrte verständnislos in das weiße, vollendet geschnittene Gesicht. »Sie können doch nicht – ich meine, ich habe nicht –, Sie dürfen nicht …« Er schluckte schwer und kämpfte mit einemmal die Tränen zurück.
    »Sie ist tot«, flüsterte er. »Und alles meinetwegen! Wenn ich nicht so unvermutet vor ihr aufgetaucht wäre, könnte sie jetzt noch leben.« Völlig aufgelöst steckte er den Goldknopf in die Tasche und stolperte, immer wieder ausrutschend, die Böschung hinauf. Im Auto wischte er sich Gesicht und Hände mit Zellstofftüchern ab.
    »Wie entsetzlich!« stöhnte er. »Man müßte mich einsperren! Ich bin ein Mörder. Aber das Einsperren nützt auch nichts mehr. Ich kann tun, was ich will – es nützt nichts mehr.« Er holte den Knopf hervor und untersuchte ihn im Schein der Armaturbeleuchtung. Dünne Drähte gingen davon aus, vermutlich Verbindungen zu einer Batterie in der Tasche des Besitzers.
    Er rollte den bohnengroßen Knopf zwischen den Fingern. »Sie schien ihn für wichtig zu halten; mit ihrem letzten Atem hat sie mir davon erzählt. Wollte, daß ich ihn ins Ohr stecke …« Er hielt den winzigen Gegenstand ans Ohr. Hörte er wirklich ein schwaches, zitterndes Summen, oder bildete er sich das nur ein? Er schob den Knopf tiefer in sein Ohr. Ein leichtes Prickeln, ein leises Rauschen und Knacken. Er versuchte den Knopf wieder zu entfernen, spürte einen stechenden Schmerz –
    »Fahren Sie nach Pottsville, einhundertzwei Meilen nordöstlich«, hörte er die Stimme des toten Mädchens im Ohr. »Brechen Sie sofort auf. Die Zeit ist kostbar!«
     
2
     
    Motorengeräusch kam näher. Roger kletterte rasch aus dem Wagen und starrte in den Regen, der nun dünn und gleichmäßig fiel. Zum zweiten Mal sah er ein einzelnes Scheinwerferlicht auf sich zukommen.
    »Diesmal springst du nicht schreiend in die Fahrbahn«, mahnte er sich selbst zur Vorsicht. »Wenn sie anhalten, erzählst du ihnen, daß dich das harte Leben zum Wahnsinn getrieben hat und daß du Stimmen hörst. Und vergiß nicht, die Halluzination mit dem Mädchen auf dem Motorrad zu erwähnen; das kann aufschlußreich für den Psychiater sein.« Er blieb neben dem Wagen stehen, starrte ängstlich auf das näher kommende Licht und signalisierte mit einer vorsichtigen Handbewegung. Das Fahrzeug wurde nicht langsamer; es machte einen weiten Bogen und brauste mit voller Geschwindigkeit an ihm vorbei – und im gleichen Augenblick sah er das Ding hinter der Lenkstange: einen Torso ohne Kopf, aufgebläht, knollig, ziegelrot, birnenförmig, mit zwei Tentakelknäueln, die an biegsame Metallschläuche erinnerten. Hinter der Motorradbrille mit dem durchgehenden Glas schwenkte ein fremdartiges, starrendes Auge zu ihm herum, groß wie eine Pizza und von ähnlicher Farbe. Mit einem erstickten Aufschrei sprang Roger zurück. Er rutschte aus und stürzte hart auf den glitschigen Asphalt. Entsetzt sah er, wie das Motorrad ins Schlingern geriet, senkrecht auf dem Vorderrad stand und seinen monströsen Fahrer abwarf. Dann rutschte es noch dreißig Meter auf der Flanke dahin und blieb mitten auf der Fahrbahn liegen.
    Roger rappelte sich hoch und lief auf die schlaffe Gestalt zu, die reglos auf der Straße lag. Schon aus drei Meter Entfernung konnte er sehen, daß sie nie wieder Motorrad fahren würde: die obere Hälfte sah aus wie Brei.
    »Hilfe«, sagte Roger schwach. Er spürte ein lautes Dröhnen in den Ohren. Im linken Ohr, um genau zu sein.
    »Es geht um jede Sekunde«, sagte das Mädchen mit einem leichten Akzent. »Beeilen Sie sich!«
    Roger zerrte erneut an dem Knopf und büßte es mit einem heftigen Schmerz.
    »Ich sollte zur Polizei gehen«, sagte er. »Aber was kann ich erzählen? Daß ich die Schuld am Tode eines Mädchens und einer Riesenrübe trage?«
    »Nicht die Polizei«, entgegnete die Stimme ungeduldig. »Ich halte unter größter Mühe die Lebensenergie in einem Teil der Hirnrinde aufrecht, damit diese Verstärkerverbindung nicht abreißt. Machen Sie nicht alles durch Ihre Trödelei zunichte! Fahren Sie los!«
    »A-aber – mein Wagen springt nicht an.«
    »Nehmen Sie das
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