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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Autoren: Eva Völler
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zwanzig, und ihm war deutlich anzusehen, dass er nicht gut auf mich zu sprechen war.
    Meine Gedanken machten wilde Sprünge. Man hatte mich entführt. Mir eine Knockout-Droge verpasst. Mich nackt ausgezogen. Und vielleicht sogar noch schlimmere Sachen mit mir angestellt. Wo blieb die Polizei, wenn man sie dringend brauchte?
    »Finger weg von mir, oder ich schreie«, stieß ich hervor.
    »Ich will dir nur helfen, du undankbares Ding«, sagte der bärtige Typ.
    Mühsam richtete ich mich auf, den stinkenden Sack vor meinen Körper pressend.
    »Wie komme ich hierher? Was ist passiert? Wo sind meine Eltern? Und meine Sachen?«
    Er hielt mir einen Stapel Kleidung hin. »Hier, zieh das an. Um der Schamhaftigkeit willen.« Während er mir die Sachen reichte, schaute er zur Seite, aber ich traute seiner Rücksichtnahme nicht und ließ ihn nicht aus den Augen, während ich die Decke zur Seite warf und nach der Kleidung griff. Die Sachen waren eigenartig und glichen in nichts den Klamotten, die ich vorher getragen hatte. Ein viel zu weites, ziemlich steifes Hemd, so ähnlich wie die Nachthemden, die meine Oma immer trug. Das andere Kleidungsstück war braun und fast genauso weit, jedoch am Oberteil mit Schnüren versehen. Das ganze Zeug sah aus, als stammte es aus einem Theaterfundus für historische Kostüme.
    Auch der Bärtige war altertümlich angezogen. Sein Outfit bestand aus Flatterhemd, langer Weste und Strumpfhosen. Dazu trug er einen ähnlichen Hut wie jenen, den ich neben Winner auf dem Boot gesehen hatte. Historischer ging es kaum noch. An seinem Gürtel steckte sogar ein kurzes Schwert.
    Hatte er bei der Regata storica mitgemacht und dort auch die Frauensachen abgestaubt, die er mir gegeben hatte?
    Egal, Hauptsache, ich musste nicht nackt herumlaufen und konnte mich möglichst schnell verdrücken. Eilig streifte ich mir zuerst das weite Hemd über den Kopf und danach den kleiderartigen Überwurf. Nach einem Slip oder BH suchte ich unter diesen Umständen gar nicht erst. Für die Füße gab es immerhin eine Art Schnabelschuhe, ähnlich denen, wie Winner sie getragen hatte.
    Wo war der Kerl hin? Er hatte es ziemlich eilig gehabt, zu verschwinden! Was mir den Vorteil verschaffte, dass ich nur vor einem Typ abhauen musste statt vor zweien.
    Während ich die Schnüre an dem Gewand festzog, sichtete ich meine Umgebung und machte mich gleichzeitig bereit zum Wegrennen. Ich musste eine ganze Weile bewusstlos gewesen sein, denn es herrschte tiefste Nacht. Ich befand mich in einer dieser extrem engen, typisch venezianischen Gassen, mit verwinkelten Häusern und schiefen Fassaden, wie es sie in der Stadt zu Hunderten gibt. Abgesehen von dem matten Schein der Kerzenlaterne in der Hand des Bärtigen war es stockfinster.
    »Wie ist dein Name, Mädchen?«, fragte der Bärtige. Er hatte sich wieder umgedreht und musterte mich.
    »Tut mir leid, ich muss ganz dringend nach Hause«, sagte ich, langsam rückwärtsgehend. »Es ist wirklich schrecklich spät.«
    »Du kannst gleich gehen, aber deinen Namen muss ich wissen, und auch den Ort, wo du wohnst.«
    »Ich heiße Hannah Montana.«
    »Und wo wohnst du?«
    »Am Disney Kanal.« Ich wandte mich zum Gehen. »Dann mache ich mich jetzt mal auf den Weg.«
    »Warte.« Er wirkte irritiert. »Willst du denn gar nicht wissen, was geschehen ist?«
    Das wollte ich mehr als alles andere, aber noch viel dringender wollte ich zurück ins Hotel. Hilfsweise zum nächsten Telefon, um die Polizei anzurufen. Der Bärtige schien aber gesteigerten Wert darauf zu legen, dass ich ihn fragte, was passiert sei, also tat ich es, um ihn bei Laune zu halten. »Was ist denn geschehen?«
    »Nun, das ist rasch erzählt«, antwortete er. Es klang wie vorher eingeübt. »Räuber überfielen dich, schlugen dich bewusstlos und stahlen deine Kleidung. Als sie mich sahen, ließen sie dich liegen und rannten davon. Man könnte sagen, dass ich dich gerettet habe.«
    »Ja, klar«, sagte ich. »Das ist fein.« Ich machte ein möglichst dankbares Gesicht. »Gute Nacht.«
    Gemächlich schlenderte ich davon, bis ich sicher sein konnte, dass der Bärtige mich nicht mehr sah. Dann rannte ich blitzartig los. Und blieb schon nach wenigen Schritten wie vom Donner gerührt stehen.

    Vor mir lag der Canal Grande, ich erkannte ihn sofort wieder. In ganz Venedig gibt es nur einen Kanal dieser Größe, der zu beiden Seiten von so vielen pompösen Palazzi gesäumt ist.
    Doch anstelle von Laternenbeleuchtung sah ich nur vereinzelte Fackeln
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