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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Autoren: Eva Völler
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am Ufer. Fackeln! Und weit und breit war kein einziges Vaporetto zu sehen, von denen sonst immer welche über den Canal Grande tuckerten. Wo waren die ganzen Motorboote hin? Ich hätte außerdem schwören können, dass mit den Häusern etwas nicht stimmte, auch wenn ich nicht auf Anhieb sagen konnte, was es war. Die Anlegestellen für die Linienboote schienen sich ebenfalls in Luft aufgelöst zu haben.
    Auf einmal zweifelte ich, ob das hier wirklich der Canal Grande war. Vielleicht gab es doch noch einen anderen Kanal, der so ähnlich aussah, mir aber auf meinen Streifzügen bisher entgangen war.
    Dann sah ich einen Mann und eine Frau aus einem der Palazzi kommen. Im ersten Moment wollte ich sie ansprechen, bekam dann aber keinen Ton heraus. Die beiden waren angezogen, als seien sie einem historischen Kostümfilm entsprungen. Zusammen bestiegen sie eine Gondel. Am vorderen Teil des Bootes war eine Laterne befestigt, ganz ähnlich wie die des Bärtigen. Auch der Gondoliere war historisch verkleidet. Er schickte sich an, loszurudern, während das Paar sich auf der Sitzbank niederließ.
    Ging die Regata storica etwa auch über Nacht weiter? War das ein neues Konzept? Alles auf altertümlich gestylt, nirgends elektrisches Licht, keine Motorboote, keine normalen Klamotten mehr? Oder handelte es sich um einen Film, von dem hier gerade eine Szene gedreht wurde, und gleich würden überall die Scheinwerfer angehen und der Regisseur Schnitt! brüllen und vor der nächsten Klappe das Schminkteam zum Abpudern auf den Set schicken?
    Ich wartete und wartete, doch nirgends tauchten Filmleute auf. Stattdessen kam eine weitere Gondel vorbei, dann noch eine, und in beiden saßen historisch kostümierte Gestalten. Gleich darauf sah ich drei Männer am gegenüberliegenden Ufer vorübermarschieren. Sie trugen Speere, Helme und als Oberteile eine Art Ritterrüstung.
    Ich merkte, dass ich angefangen hatte zu zittern und jetzt spürte ich auch wieder, wie weh mir der Kopf tat. Trotzdem bemühte ich mich, halbwegs konzentriert zu denken. Irgendeine logische Erklärung für all das würde mir schon einfallen!
    Allzu viele Möglichkeiten gab es nicht. Soweit ich es beurteilen konnte, höchstens vier. Entweder ich war tot und im Fegefeuer. Oder ich stand unter Drogen. Oder es war ein Film. Oder ich war verrückt.
    Ich fuhr zusammen. Hinter mir war der Bärtige aufgetaucht. »Du bist ja noch hier, Hannah. Fürchtest du dich, deinen Heimweg allein anzutreten? Soll ich dich nach Hause begleiten?«
    Sein Gesicht spiegelte ehrliche Anteilnahme wider. Im Grunde sah er nicht aus wie jemand, vor dem man sich fürchten musste. Vorhin war er sauer gewesen, weil er mich aus irgendeinem Grund lästig fand, aber jetzt wirkte er aufrichtig besorgt.
    Ich holte Luft. »Ich möchte nur eins wissen: Bin ich tot? Angenommen, es wäre so – dann würde sich doch nicht alles so echt anfühlen, oder?«
    Er runzelte die Stirn. »Du lebst und bist wohlauf. Warum fragst du, Hannah?«
    »Ähm – wird hier gerade ein Film gedreht?«, fragte ich.
    Genau genommen wollte ich das fragen. Stattdessen kam aber eine ganze andere Frage heraus, nämlich: »Wird hier gerade ein Kostümstück aufgeführt?«
    Verstört klappte ich den Mund zu. Warum hatte ich das Wort Film nicht aussprechen können? Ich versuchte es erneut, diesmal energischer: »Kostümstück«, hörte ich mich sagen. »Kostümstück.« Mindestens zehn Mal hintereinander. Egal, wie oft ich es versuchte – das Wort Film kam nicht über meine Lippen.
    Mit einem Mal wirkte der Bärtige extrem wachsam. »Sag mir, woran du dich erinnerst. Von dem, was geschah, bevor du zu dir gekommen bist.«
    Verständnislos starrte ich ihn an. Hatte er sie noch alle?
    »An alles eigentlich«, sagte ich vorsichtig. »Ich fiel ins Wasser, und dann zog mich dieser Kerl in die rote Gondel von dem einäugigen alten Gondoliere. Und dann knallte es, und ich wurde hier wach und war nackt.«
    »O mein Gott! Du hast deine Erinnerungen behalten!«
    Was hatte er denn erwartet? Dass die Droge, die ich intus hatte, ewig wirkte?
    »Ich erinnere mich nicht an die Räuber«, meinte ich einschränkend.
    Er seufzte. »Es gab keine Räuber. Die hat sich Sebastiano ausgedacht.«
    »Wer ist das schon wieder?«
    »Der Mann, der dich herbrachte.«
    »Hat dieser Sebastiano sich auch meine ganzen Sachen und meinen Spiegel unter den Nagel gerissen?«, fragte ich.
    Spiegel ? Ich stöhnte laut auf. Wieso hatte ich Spiegel gesagt? Ich wollte iPod sagen!
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