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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Autoren: Diana Gabaldon
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Kriegsgericht ins Auge:
    »Es ist der Usus der Armee, dass der Vorsitz eines Kriegsgerichts aus einem ranghohen Offizier und einer Anzahl weiterer Offiziere besteht, die dieser für geeignet befindet, das Gericht zu bilden, im Allgemeinen vier an der Zahl, möglicherweise mehr, jedoch nicht weniger als drei. Die angeklagte Person soll das Recht haben, Zeugen zu ihrer Unterstützung aufzurufen, und das Gericht soll diese befragen sowie jede andere Person, die es wünscht, und so soll es die Umstände klären und, falls es zu einer Verurteilung kommt, auch die Strafe.«
    Das war alles. Keine Richtlinien für den Umgang mit Beweismitteln, keine Maßstäbe für eine Verurteilung, keine Vorgaben über das Strafmaß, keine Anforderungen an die Vorsitzenden eines solchen Gerichts, nur »der Usus der Armee«. Dieser Ausdruck ist offensichtlich bei mir hängen geblieben.
    WENN MAN ES RECHT BEDACHTE, war wahrscheinlich der Zitteraal daran schuld. Darüber hinaus konnte John Grey das Ganze auch der ehrenwerten Miss Caroline Woodford in die Schuhe schieben – was er eine Zeit lang tat. Und dem Arzt. Und natürlich diesem verflixten Dichter. Dennoch … nein, der Aal war daran schuld.
    Die Gesellschaft hatte in Lucinda Joffreys Haus stattgefunden. Sir Richard war abwesend; ein Diplomat seines Standes konnte einer solchen Frivolität niemals seinen Segen geben. Zitteraalgesellschaften waren in London der letzte Schrei, doch da die Tiere sehr selten waren, waren es solche privaten Zusammenkünfte ebenso. Die meisten dieser Ereignisse fanden in öffentlichen Theatern statt. Hier rief man die wenigen Glücklichen, die auserwählt wurden, dem Aal näher zu begegnen, auf die Bühne, wo sich dann das Publikum daran ergötzte, wie sie einen Schlag bekamen und dann wie getroffene Kegel umhertorkelten.
    »Der Rekord liegt bei zweiundvierzig auf einmal!«, hatte ihm Caroline erzählt, und ihre großen Augen hatten geglänzt, als sie von dem Tier in dem Wasserbassin aufblickte.
    »Tatsächlich?« Es war eins der merkwürdigsten Geschöpfe, die er je gesehen hatte, auch wenn es eigentlich eher unauffällig aussah. Es war an die neunzig Zentimeter lang, und es hatte einen schwerfälligen, kantigen Körper mit einem stumpfen Kopf, der aussah wie von unkundiger Hand aus Ton geformt, und winzige Augen wie stumpfe Glasperlen. Mit den geschmeidigen, um sich peitschenden Aalen auf dem Fischmarkt hatte es nur wenig gemeinsam – und es erweckte gewiss nicht den Anschein, als könnte es zweiundvierzig Menschen nacheinander auf einen Schlag fällen.
    Das Tier hatte nichts Anheimelndes an sich, außer einer kleinen, schmalen Schleierflosse, die ihm über den gesamten Unterkörper lief und sich in Wellen bewegte wie ein Gazevorhang im Wind. Diese Beobachtung teilte Lord John sofort Miss Caroline mit und wurde daraufhin beschuldigt, ein poetisches Wesen zu besitzen.
    »Poetisch?«, sagte eine belustigte Stimme hinter ihm. »Kennen die Talente unseres tapferen Majors denn gar keine Grenzen?«
    Innerlich grimassierend und äußerlich lächelnd, wandte John sich um und verneigte sich vor Edwin Nicholls.
    »Es würde mir niemals einfallen, mich auf Euer Terrain zu wagen, Mr. Nicholls«, sagte er höflich. Nicholls schrieb grauenvolle Verse, die sich zumeist mit der Liebe befassten, und er genoss die Bewunderung junger Frauen einer gewissen Geisteshaltung. Miss Caroline zählte nicht zu ihnen; sie hatte sogar eine äußerst gewitzte Parodie seines Stils verfasst, obwohl Grey nicht glaubte, dass Nicholls davon gehört hatte. Zumindest hoffte er es nicht.
    »Ach, nein?« Nicholls zog eine honigfarbene Augenbraue hoch und warf Miss Woodford einen kurzen, aber bedeutsamen Blick zu. Sein Ton war scherzhaft, doch sein Blick war es nicht, und Grey fragte sich, wie viel Mr. Nicholls wohl schon getrunken haben mochte. Nicholls hatte rote Wangen und glitzernde Augen, doch das konnte genauso gut eine Folge der Wärme im Zimmer sein, die beträchtlich war, und des aufregenden Anlasses.
    »Denkt Ihr darüber nach, eine Ode an unseren Freund zu verfassen?«, fragte Grey, ohne Nicholls’ Seitenhieb zu beachten, und zeigte auf das große Wasserbecken mit dem Aal.
    Nicholls lachte zu laut – nein, er war wirklich nicht mehr nüchtern – und winkte ab.
    »Nein, nein, Major. Wie könnte ich es in Betracht ziehen, meine Energie an eine solch grässliche, bedeutungslose Kreatur zu verschwenden, wo ich doch solch entzückenden Engel zu meiner Inspiration habe.« Er grinste
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