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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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wenn dir das Kunststück gelänge«, sagte ich gerührt, »aber was willst du in die Erdatmosphäre katapultieren? Zu große oder zu feste Körper können auf die Erdoberfläche gelangen und Schaden anrichten.«
»Auch darüber habe ich nachgedacht. Erinnere dich, du hast mit Vater auf dem sechsten Mond Kartoffeln angebaut. Sie wuchern entsetzlich in unserem Klima, und Vater benötigt nur einen Bruchteil…«
Trotz der bedrückenden Abschiedsminuten mußte ich nun doch lachen. Aul begriff meine Heiterkeit zuerst gar nicht. Ich sagte: »In drei Wochen bist du zurück, und in noch einmal drei bis vier Wochen könnten mich deine ersten Grüße erreichen. Ich werde jeden Abend auf die Sternschnuppen achten, Liebes. Hoffentlich riecht es nach deinen Grüßen in Europa nicht nach Bratkartoffeln…«
Ihre erheiternde Idee milderte die Spannung und den Schmerz der Trennung ein wenig. Dann, lange erwartet und befürchtet, ertönte ein schwaches Signal. Es durchdrang mich wie Nadelstiche. Ich nahm mich zusammen, sah zur Luke, wo Fritzchen noch immer stand und sich nun doch noch ein Kopfwippen abrang.
Zum letzten Male umarmten wir uns; zum letzten Male küßten wir uns. Ihre Hand entglitt mir, langsam stieg Aul die Treppe hinauf, wandte mir oben noch einmal ihr Gesicht zu. Ein schmerzliches Lächeln war das letzte, was ich von ihr sah.
Ich ging zurück, war wie betäubt, als der feine, singende Ton hörbar wurde. Der Diskus stieg auf, war nach wenigen Sekunden meinen Blicken enteilt. Schneewolken verhinderten die Sicht.
    Im Haus war es noch etwas warm. Alles war von ihrer Gegenwart erfüllt. Erst jetzt, in der Stille und Einsamkeit, begriff ich das schreckliche Wort »unwiderruflich«. Ich zwang mich zur Ruhe, legte mich hin und ließ die letzten Stunden mit ihr an mir vorüberziehen. Zum reinen, tiefen Glücksgefühl gehörte wohl auch der bittere Wermutstropfen der Trennung. Dennoch – was konnte ein Mensch in seinem kurzen Leben mehr erhoffen als das Wunder einer solchen Begegnung? Aul blieb auf immer mein Besitz, nichts vermochte diese köstliche Erinnerung auszulöschen, sogar der Schlaf nicht, der mich nun sacht in den Traum meines Lebens zurückführte.
    Eisige Kälte riß mich schon nach wenigen Stunden aus dem Schlummer. An die wärmespendenden Lampen gewohnt, hatte ich nicht an Feuerung gedacht. Ich kroch zähneklappernd aus dem Bett, prüfte das Thermometer. Die Temperatur war auf elf Grad gesunken. Mir fiel Auls Warnung ein. Ein Schnupfen war das mindeste, was mir drohte. Der Alltag, das gewöhnliche irdische Einerlei, umgab mich wieder, zwang mich, an das Nachher und weiter zu denken. Ich verbrannte einen Stapel Zeitungen im Ofen.
    Es war kurz nach sieben Uhr. Aul befand sich jetzt vermutlich schon außerhalb der Mondbahn, sah die Erde als große farbenprächtige Kugel. Die Kälte ließ mir keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich zog Schuhe und Mantel an, wollte so schnell wie möglich in die Stadt flüchten. Als ich zur Tür hinausging, fiel mein Blick auf den Wandschrank.
    Die Edelsteine und die Banknoten! In der Aufregung hatte ich daran nicht mehr gedacht.
Drei Schritte von mir entfernt befand sich ein Vermögen. Mit verklärtem Blick öffnete ich den Schrank und erstarrte im gleichen Augenblick. Ich hatte das Empfinden, mit eiskaltem Wasser übergossen worden zu sein. Noch vor wenigen Stunden, das wußte ich genau, hatten die Steine und die Banknoten hier gelegen. Auch ein paar Edelmetalle waren darunter gewesen.
Ich suchte das Zimmer ab, durchstöberte die anderen Räume – nichts. Eine einfache, ungeheuerliche Erklärung bot sich für die niederschmetternde Entdeckung an, entfachte meinen Zorn: Fritzchen, dieser Racha, hatte mit den Heizlampen und meinem Einkauf auch das Gold, die Banknoten und die Steine zurückgeschleppt, obwohl ihn niemand dazu ermächtigt oder beauftragt hatte. In unserem Abschiedsschmerz waren Aul und ich nicht auf den Gedanken gekommen, seinen Pflichteifer zu kontrollieren.
Ich fluchte leise vor mich hin, ging ins Fliedergebüsch, wo Aul das Versteck angelegt hatte. Umsonst, der märchenhafte Schatz befand sich auf dem Wege zum sechsten Mond. »Gibt es denn soviel Blödheit in der Welt!« stöhnte ich verzweifelt. »So ein Hohlkopf! Und dieser programmierte Idiot nickt mir auch noch zum Abschied zu!« Am liebsten hätte ich meinen Grimm in den dunklen Morgenhimmel geschrien.
Unachtsamkeit, sturer, blinder Eifer eines elektronischen Domestiken hatten mich in Minutenschnelle um ein
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