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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Unbändiges Verlangen, etwas Ausgelassenes zu tun, beherrschte mich auf einmal. In meiner Manteltasche knisterten die Banknoten. Wozu brauchte ich so viel Geld? Für die paar Wünsche des Alten genügte ein Bruchteil. Überdies – ein beruhigendes Gefühl – lag das Hundertfache an Wert im Wandschrank auf Manik Maya.
Einen Augenblick kam mir der Gedanke, nach Hause zu gehen. Johanna hatte vielleicht schon Arbeitsschluß. Doch was hätte ich ihr sagen sollen? Im Bauernhaus wartete Aul auf mich. Ich mußte das alles erst hinter mich bringen, reinen Tisch machen mit dem, was war und was um Mitternacht ein Kapitel meines Lebens für immer abschloß. Morgen wird alles anders werden, vierundzwanzig Stunden noch… Im Überschwang meiner Freude über das neugewonnene Leben erwachte in mir der Bruder Leichtsinn. Zum ersten Male durfte ich mir einen lang gehegten, verrückten und wohl auch kindlichen Wunsch erfüllen. Ich konnte jetzt nachträglich den Weihnachtsmann spielen, der ausnahmsweise sogar wirklich vom Himmel heruntergekommen war. Geld, das man sich nicht selbst sauer verdient hatte, ließ sich leichter verschwenden.
Ich ging in einen Süßwarenladen, kaufte einen Stapel Schokolade, mehrere Schachteln vom teuersten Konfekt, zahlte, ohne mir herausgeben zu lassen. Die Verkäuferin kam mir bis auf die Straße nach, um meinen Irrtum aufzuklären. Sie konnte es gar nicht fassen, daß ich das »Kleingeld« nicht zurückhaben wollte. Vermutlich hielt sie mich für übergeschnappt. Die Süßigkeiten verschenkte ich an Schulbuben. Einige Male glückte es mir, alten Damen, die vom Einkauf kamen, ein Bündel Scheine in die Einkaufstaschen zu schmuggeln. An einer Ecke verkaufte ein Mann Lose. Ich nahm einen Packen, bezahlte großzügig und warf die Lose in den nächsten Papierkorb.
Es erwies sich als anstrengend, so viel Geld loszuwerden. Schließlich vereinfachte ich das Verfahren, ging in Hausflure und stopfte die Geldscheine wahllos in die Briefkästen. Als es dunkel wurde, hatte ich das Vermögen bis auf einen kleinen Rest im wahrsten Sinne des Wortes »unter die Leute gebracht«. Selten war ich so glücklich und zufrieden wie nach dieser anstrengenden Tätigkeit, für die Oberarzt Hauschild gewiß eine lateinische Formulierung parat gehabt hätte.
In der Markthalle kaufte ich zwei Hähne, einen Käfig dazu, einen Karton mit Blumen- und Gemüsesamen und für Aul einen Strauß Alpenveilchen. Auf ein Vogelpärchen mußte ich verzichten.
Das Geld reichte gerade noch für ein Pfund saure Bonbons, die Aul ihrem Vater mitbringen sollte, und für die Rückfahrt nach Manik Maya.

26
    Aul hatte mit Ungeduld auf mich gewartet. Sie begutachtete meinen Einkauf, äußerte sich befriedigt über die Hähne, die sich recht jammervoll in dem viel zu engen Käfig ausnahmen. Aul wollte sie an Bord einschläfern und desinfizieren.
    Ich überlegte sorgenvoll, wie ich ihr meinen Entschluß schonend beibringen konnte. Ich gab ihr die Bonbons für den Vater und die Alpenveilchen und war überrascht, wie sehr sie sich über die Aufmerksamkeit freute.
    »Wie schön, daß du an mich gedacht hast«, meinte sie gerührt. »Solche Blumen habe ich noch nie gesehen.«
Sie öffnete den Wandschrank, suchte eine Vase heraus. Im oberen Fach, achtlos hingelegt, funkelten die Steine zwischen gestapelten Banknoten. Das alte Bauernhaus besaß auf einmal den Wert einer Luxusvilla. Nebenan studierte Fritzchen die beiden Hähne. Als ich ihn fragte, ob er jetzt den Unterschied kenne, verneinte er. Ihm seien diese wissenschaftlichen Kenntnisse nicht einprogrammiert worden.
Warum ich nicht auch ein Vogelpärchen mitgebracht hätte, wollte Aul wissen. Ich erzählte ihr von meiner Verrücktheit, die alles Geld gekostet hatte, genoß den somnambulen Zustand meiner Verschwendungssucht noch einmal.
Zu meiner Verwunderung fand meine generöse Geste nicht ihren Beifall. Zwar tadelte sie mich nicht, aber ihr Gesicht nahm einen seltsam nachdenklichen Ausdruck an.
»Warum siehst du mich so vorwurfsvoll an?« fragte ich beunruhigt. »Hätte ich das Geld wieder mitbringen sollen, oder bist du verärgert, weil ich das Vogelpärchen nicht mitgebracht habe?«
Sie lächelte versonnen. »Nein, du hast genug geschleppt, und das Geld brauchen wir wirklich nicht. Ich verstehe nur noch nicht, warum du es verschenkt hast.«
»Ich weiß es selber nicht genau. Ich hatte einfach Spaß daran, eine Gefühlsaufwallung vielleicht…«
Sie schwieg. Ich hatte den Eindruck, daß sie meine
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